Tipps gegen Heißhunger

Tipps gegen Heißhunger

Da kriegt man doch schon beim Hinsehen einen Jieper auf Schokolade. Jetzt was Süßes? Nicht unbedingt. Wie Sie mit Fotoalbum und Wohlfühlbarometer den inneren Saboteur ausschalten. Ein Interview mit der Dresdner Psychologin Dr. Ilona Bürgel.

Tipps gegen Heißhunger© Antonio_Diaz/iStock
Tipps gegen Heißhunger

Allem kann ich widerstehen – nur nicht der Versuchung, das sagte schon der irische Schriftsteller Oscar Wilde. Und wer kennt das nicht? Nach einem stressigen Arbeitstag streichelt eine süße Schoki oder eine Tüte Chips abends die Seele. „Das liegt daran, dass wir uns im Leben viel zu wenig gönnen. Essen ist der einfachste Weg, es ein bisschen mehr zu genießen“, sagt die Dresdner Psychologin Dr. Ilona Bürgel. Sie beschäftigt sich schon lange mit den Zusammenhängen zwischen Essen und Psyche – und verrät im Interview mit FÜR SIE-Food-Chefin Brigitte Kesenheimer, wie man Heißhunger- Attacken versteht und ausbremst.

Frau Dr. Bürgel, wenn ich abends gemütlich auf dem Sofa sitze – und plötzlich nur noch an eins denken kann: das letzte Stück Kuchen im Kühlschrank. Woher kommt das?

Jeder einzelne Tag kostet uns viel Kraft. Wir reißen uns nämlich die ganze Zeit über zusammen. Da ist der Stress mit dem Chef, der uns ungerecht behandelt. Die nervige Kundin, zu der wir nett sein müssen. In der Mittagspause stehen

Heißhunger© iStock/Thinkstock
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wir ewig an der Supermarktkasse, und nach dem Job wartet noch das Bad auf einen Generalputz. Diesen Kraftverbrauch kann man sich so vorstellen: Unser Gehirn hat eine Box für Disziplin. Und für all die genannten typischen Alltagssituationen verbrauchen wir einen Teil dieser Box. Das führt dazu, dass bis zum Abend unsere Disziplin-Box komplett leer ist. Um der Versuchung durch Knabbereien und Süßes zu entgehen, brauchen wir aber noch etwas davon.

Also ist nicht der Streit mit meinem Mann schuld, dass ich die Chipstüte leer esse?

Eher unwahrscheinlich. Es kann sogar sein, dass unsere leere Disziplin-Box schuld am Streit ist. Erst dadurch entstehen ja diese oft typischen Szenen am Abend. Da mault man seinen Liebsten auch schon mal wegen eines lächerlichen Soßenspritzers auf dem Tisch an. Und dann entwickelt sich daraus eine Riesensache. Und später fragt man sich: Warum hatten wir uns eigentlich in den Haaren?

Wieso sagen gerade so viele Frauen, dass sie unter Heißhunger leiden?

Wir Frauen verzichten tagsüber öfter auf eine Mahlzeit oder lassen aus Kaloriengründen etwas auf dem Teller zurück – essen uns also nicht richtig satt. Und wenn wir dann unter Stress stehen, rauscht der Blutzucker nach unten. Weil unser Körper den zur Bewältigung der Stress-Situation braucht. Ist der Blutzucker erst einmal ganz unten, schreit der Körper vor allem nach schnell verfügbarer Energie in Form von Süßem.

Dann ist eine Diät ja wahrscheinlich eine echte Herausforderung für unseren Disziplin-Akku, oder?

Eine Diät verbraucht große Kraftreserven! Denn es gilt: Je strenger die Kontrolle, umso stärker wird der Heißhunger sogar noch. Wenn unser Körper dann ständig das Gefühl hat, um jede Kalorie kämpfen zu müssen, wird die Aufforderung „Süßes tanken“ immer häufiger und lauter gesendet. Heißhunger ist dann schon programmiert. Deshalb leiden gerade diäterfahrene Frauen besonders darunter.

Und wie verhindere ich jetzt, dass mein Schweinehund jeden Abend nach Knabbereien kläfft?

Aus meiner Erfahrung hilft vor allem eins: ein Wohlfühl-Tagebuch schreiben. Ja, ich weiß, das ist nichts Neues. Aber es ist sehr effektiv! Vor allem, wenn man eben nicht nur notiert, was man gegessen hat. Sondern auch, wie man sich an dem Tag gefühlt hat oder ob etwas Besonderes passiert ist – etwa eine nette Überraschung von der besten Freundin oder der Streit mit der Schwiegermutter. So kann man erkennen, welche Situationen unsere Disziplin-Box stark belasten, und eine Strategie dagegen entwickeln. Um zu ermitteln, wie man sich im Moment fühlt, arbeite ich gern mit dem Wohlfühl-Barometer.

Aber Alltagsstress allein ist doch nicht schuld?

Unser Essverhalten hat oft auch tiefer gehende Ursachen: zum Beispiel Kommunikationsersatz bei Paaren, die sich nicht mehr viel zu sagen haben. Essen kann aber auch Trost bei Einsamkeit sein oder Langeweile vertreiben. Kurz, es sind immer unbefriedigte Bedürfnisse, die wir nicht ernst nehmen. Wer unser innerer Saboteur ist, das können wir beispielsweise ermitteln, indem wir Tagebuch schreiben. Natürlich kann auch ein Coach dabei helfen, achtsamer mit sich selbst umzugehen. Negative Gefühle werden nur kleiner, wenn man hinschaut. Und wenn es uns gelingt, Entscheidungen bewusst zu treffen. Gerade bei Fress attacken handeln wir eher unbewusst. Ich glaube, es gibt niemanden, der sich hinsetzt und sagt: So, jetzt esse ich mal schön die ganze Tafel Schoki.

Unbefriedigte Bedürfnisse gleich innerer Schweinehund?

Könnte man sagen. Der innere Saboteur hat bei jedem ein anderes Gesicht. Wir können ihn als Schweinehund, Igel oder Wolf betiteln – Hauptsache, wir reden mit ihm. Dafür brauchen wir viel Geduld mit uns selbst und insbesondere positive Energien. Was dabei vor allem zählt: dass wir uns wichtig nehmen und achtsam mit uns sind. Das ist wie bei Leuten, die erst nach einem Herzinfarkt lernen, mehr auf sich und ihren Körper zu achten. Genauso sollten Heißhunger-Attacken für uns ein Zeichen sein, mehr für uns und unser Wohlbefinden zu tun.

Und wie werde ich meinen inneren Saboteur jetzt los?

Bei der positiven Psychologie ist es wichtig, dass wir uns mit guten Nachrichten umgeben. Ich habe mir zum Beispiel eine PowerPoint-Präsentation mit schönen Fotos gemacht: Ich sitze entspannt auf dem Sofa, Arm in Arm mit meinem Mann, ein Foto von einem süßen Hund und meinen Lieblingsblumen. Die Kraft, die diese Bilder ausstrahlen, spüre ich jeden Morgen, wenn ich mir bei einer Tasse Tee die Präsentation anschaue. Denken Sie doch einfach mal an einen niedlichen Hund oder eine Katze, das zaubert den meisten gleich ein Lächeln aufs Gesicht und gibt ein gutes Gefühl! Solche Kraft-Bilder sollte deshalb jeder haben – für den positiven Start in den Tag oder als Anker für schlechte Momente.

Und was bewirken diese positiven Gefühle?

Dadurch vergrößern wir einen bestimmten Bereich im Gehirn – den linken Frontallappen. Und das ist wie bei einem Trampelpfad über eine Wiese. Je häufiger der Weg (also die positiven Energien) genutzt wird, umso breiter wird er. Und umso eher schlägt man diesen Weg dann ein.

Gibt es noch andere Arten, positive Energie zu tanken?

Ja, indem wir ganz alltägliche Krafträuber ausbremsen. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an: Viele von uns arbeiten die Pausen durch, um unser Pensum zu schaffen. Die Pause aber ist wichtig, um unsere Disziplin-Box nicht auf Dauerbetrieb zu halten. „Tanken fahren“ heißt auch, uns etwas Gutes zu tun. Also, wenn die Sonne scheint, sich nach draußen zu setzen und die Wärme auf dem Gesicht zu spüren. Und als Zweites: auch beim Essen auf Wohltuer wie Gemüse, Nüsse und Milchprodukte zu setzen.

Wenn mein innerer Schweinehund aber nicht so auf Gemüse steht – was dann?

Essen ist Gewohnheit. Wir können unserem Gehirn zwar kein gesundes Essen aufzwingen. Aber wir können es mit einem kleinen Trick daran gewöhnen. Wer bisher beispielsweise auf Zucchini verzichtet hat, kombiniert das Gemüse mit etwas, das er gern mag, etwa Käse. Dann mache ich mir einen Auflauf mit Zucchini. Beim ersten Mal sagt das Gehirn noch: Huch, was ist das denn? Zucchini, aha. Beim zweiten und dritten Mal: Oh, was war das noch mal? Zucchini oder so. Und je häufiger es damit konfrontiert wird, geht es dann von „Ah, wieder Zucchini“ bis „Ach, eigentlich ganz lecker“. Man weiß aus der Forschung, dass so ein Prozess ein bis drei Monate dauert. Und natürlich nur funktioniert, wenn man regelmäßige Wiederholungen anbietet. Damit wir abends genügend Disziplin aufbringen, um Zucchini zu essen, müssen wir uns aber tagsüber Disziplin-Reserven lassen.

Und wie sieht es mit dem Naschen aus?

Mein Tipp: einmal am Tag dunkle Schokolade. Die befriedigt unseren Süß-Wunsch, lässt aber den Blutzuckerspiegel hinterher nicht nach unten rauschen. Einfach die Schoki als kleines Ritual nach dem Mittagessen genießen. Das verhindert Heißhunger-Attacken. Und ist die perfekte Erinnerung in unserem Tagesablauf, uns auch mal etwas Gutes zu gönnen und auf unsere Energien zu schauen.


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