
Über Patienten, die grußlos ins Sprechzimmer kommen und mir stumm einen Zettel in die Hand drücken, wundere ich mich in diesen Wochen nicht. Sie handeln ja genau richtig, wenn sie heiser sind. Bleibt bei einer Erkältung die Stimme weg, ist Schweigen die beste Therapie. Dazu den Hals warm halten, Bonbons lutschen und viel trinken – das ist im Grunde schon alles, was man dagegen empfehlen kann. So nahm ich also zunächst an, dass ich auch die Frau, die vor ein paar Wochen mit einem dicken blauen Schal vor mir stand, mit diesen banalen Ratschlägen nach Hause schicken müsste.
Doch in unserem „Gespräch“, das auf ihrer Seite vor allem aus Nicken und Kopfschütteln bestand, kam Folgendes heraus: Erstens war sie nicht erkältet. Und zweitens erinnerte ich mich an sie beziehungsweise an ihre Stimme. Sie arbeitet als Moderatorin bei einem Radiosender, den ich morgens oft höre. Ihr Stimmproblem begann damit, dass ihr Hals eines Morgens rau und kratzig war. Die Techniker im Sender stellten fest, dass sie leiser sprach. Und sie bemerkte selbst, dass sie tiefer klang. Sie machte ihre Sendung trotzdem weiter, selbst als sie ein paar Tage später zusätzlich Schluckbeschwerden bekam. Dann blieb die Stimme weg. Für die Untersuchung der Stimmbänder benutzen wir ein sogenanntes Videostroboskop, mit dem man sie in Zeitlupe beobachten kann. Meine Vermutung bewahrheitete sich: Ich entdeckte stecknadelgroße Bindegewebsknötchen auf den Stimmlippen. Die entstehen oft aus ungeklärten Gründen bei Menschen, die viel sprechen müssen und ihrer Stimme wenig Schonzeit gönnen, Lehrer und Priester zum Beispiel – und eben auch Moderatoren. Die Knötchen sind im Grunde harmlos und bilden sich meist von selbst zurück, wenn man pausiert und dazu spezielle Stimmübungen macht.
Wenn es, wie in diesem Fall, möglichst schnell gehen soll, kann man die Heilung mit Kortisonspritzen beschleunigen. Diese Doppelstrategie hat funktioniert. Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Patientin vor Kurzem wieder im Radio hörte.

