
Zähne putzen, Kaffee kochen und dann eine Multivitamintablette in einem Glas Wasser auflösen … Gerade bei Frauen gehören Vitaminpräparate häufig zur Gesundheitsroutine. Tag für Tag werden damit in Deutschland rund drei Millionen Euro umgesetzt, so das Marktforschungsinstitut IMS Health. Hoch im Kurs stehen vor allem Kombipräparate, die das ganze Abc der Fitmacher vereinen. Doch es gibt begründete Zweifel an der Wirksamkeit der künstlichen Kraftspender.
Erst im Februar sorgte eine Veröffentlichung des Hutchinson Cancer Research Center in Seattle für Aufsehen. Acht Jahre lang begleiteten die Forscher rund 162 000 Frauen, von denen die Hälfte täglich Multivitaminpräparate einnahm. Ergebnis: Diejenigen, die regelmäßig darauf zurückgriffen, schnitten in keiner Kategorie besser ab als die Pillenverweigerer. Beide Gruppen litten gleich häufig an Brustkrebs, Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Darm- und Eierstockkrebs. Auch im Punkt Langlebigkeit gab es keine Unterschiede.
„Die Vitamine brachten weder einen Nutzen für die Teilnehmerinnen, noch schadeten sie“, sagt Dr. Marian Neuhouser, Erstautorin der Studie. Auch andere Forscher rütteln am fast unumstößlichen Vitamin-Mythos. So zeigte eine Untersuchung an 14 000 Ärzten, die das Fachmagazin „Journal of the American Medical Association“ 2008 veröffentlichte, dass eine Extradosis der Vitamine E und C nicht automatisch vor Herzinfarkten und Schlaganfällen schützt.
DIE DOSIS ENTSCHEIDET
DIE DOSIS ENTSCHEIDET
Dass die Formel „Viele Vitamine = viel Gesundheit“ nicht aufgeht, kann da eigentlich nicht mehr überraschen. Der Körper braucht von den meisten Mikronährstoffen nur sehr wenig. Ein Beispiel: Um das Verklumpen von Blutplättchen zu vermindern, genügen laut Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bereits 12 bis 15 Milligramm Vitamin E. Und davon bekommen wir in der Regel genug durch unsere alltäglichen Mahlzeiten. Enthalten ist Vitamin E etwa in Weizen. „Wer seinem Körper mehr Vitamine zuführt, als er benötigt, der kann ihre physiologische Wirkung nicht weiter steigern“, erklärt Professor Klaus Pietrzik, Ernährungswissenschaftler an der Universität Bonn.
Seiner Ansicht nach weisen viele vitaminkritische Studien methodische Mängel auf. Deshalb bezweifelt er die Ergebnisse. Andere Forscher deuten weitere Studien so, dass ein Zuviel an Vitaminen der Gesundheit auch schaden kann Vitamin A beispielsweise, eigentlich eine Stütze des Immunsystems, wirkt im Körper auch als Gegenspieler des Knochenvitamins D.
Die empfohlene Tagesdosis für eine Frau liegt bei 1 Milligramm. Nimmt sie 3 Milligramm Vitamin A zu sich, steigert sie ihr Osteoporose- Risiko laut „Journal of the American Medical Association“ Bereits vor einigen Jahren zeigte eine finnische Studie mit Rauchern, dass diese eher an Lungenkrebs erkranken, wenn sie große Mengen Betacarotin schlucken. Das Provitamin kommt in Möhren und Spinat vor. Es ist die Vorstufe zum Vitamin A und zählt wie die Vitamine C und E zu den sogenannten Antioxidantien.
Wenn man diese über Lebensmittel aufnimmt, schützen sie den Körper vor aggressiven Sauerstoffverbindungen, die für Krankheiten wie Arteriosklerose, Krebs oder Alzheimer mitverantwortlich gemacht werden. Gefährlich können Antioxidantien jedoch werden, wenn man sie etwa durch Nahrungsergänzungsmittel überdosiert. Diese Gefahr besteht nicht, wenn sie aus Obst und Gemüse stammen, weil wir gar nicht so viel aufnehmen können.
EXTRAVITAMINE VERMEIDEN?
EXTRAVITAMINE VERMEIDEN?
Die Vitamindebatte stiftet Verwirrung. Soll man nun grundsätzlich auf seine tägliche Brausetablette verzichten? Und all die vielversprechenden Vitaminprodukte meiden? Die leider unbefriedigende Antwort: Es kommt darauf an. Frauen, die Medikamente einnehmen müssen, sollten auf jeden Fall keine hohen Dosen Extravitamine einnehmen. Denn diese können zu Wechselwirkungen mit ihren Arzneien führen. Menschen, die fleißig Obst und Gemüse essen, haben meist keinen Bedarf an Gesundheitsprodukten aus der Retorte.
Ihr Vorteil für den Organismus ist, wenn überhaupt vorhanden, nur minimal. Einen echten Nutzen aus künstlichen Vitaminen ziehen hingegen vor allem Menschen, bei denen bestimmte Lebensumstände verhindern, dass sie ihr Vitaminsoll mit der normalen Ernährung decken können (siehe Kasten links). Um herauszufinden, ob Sie einen erhöhten Bedarf haben, sollten Sie Ihren Arzt fragen.
Auch bei einer einseitigen Ernährung mit viel Fertigkost und Fast Food können Multivitaminprodukte durchaus Unterversorgungen kurzfristig ausgleichen. Sie ersetzen dennoch keine ausgewogene Ernährung, die auch lebenswichtige sekundäre Nährstoffe wie Mineralien und Ballaststoffe liefert.
WER BRAUCHT WAS?
WER BRAUCHT WAS?
In bestimmten Lebenslagen kann die Ernährung den üblichen Vitaminbedarf nur schwer decken. Dann können Extravitamine und -mineralien helfen.
Schwangere
Im ersten Drittel der Schwangerschaft sollten täglich 400 Mikrogramm Folsäure eingenommen werden. Das schützt das Neugeborene vor „offenem Rücken“.
Raucher
Raucherinnen haben bis zu 30 Prozent weniger Vitamin C, weniger Vitamin E, Mineralien und etliche andere Vitalstoffe im Blut.
Senioren
Häufig fehlt Vitamin D, das wichtig für den Knochenstoffwechsel ist. Auch an Vitamin B12 kann es mangeln, es wird im Alter weniger gut aufgenommen.
Vegetarier
Bei strikten Vegetariern (Veganern) ist die Versorgung mit Vitamin B12 kritisch. Sie sollten auch auf ausreichend Vitamin B6 und D, Selen, Kalzium, Eisen achten.
Langjährige Nutzerinnen der Antibabypille
Hormonpräparate zehren an den Vitaminreserven. Das betrifft vor allem Folsäure und Pyridoxin (Vitamin B6). Aspirin kurbelt die Vitamin-C-Ausscheidung an.
