Ihr Vater musste vor dem Krieg flüchten oder Ihre Mutter wurde als Mädchen misshandelt? Obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Welt waren – und vielleicht nichtmal etwas davon wissen – leiden Sie indirekt an den Folgen des Traumas Ihrer Eltern. Dahinter kann eine transgenerationale Weitergabe von Traumata stecken. Wir erklären, was das bedeutet.
Was ist eine transgenerationale Weitergabe?
In der Psychologie bezeichnet der Begriff Transgenerationale Weitergabe die Übertragung von Emotionen, Verhaltensweisen, Denkmustern und Erfahrungen von einer Generation zur nächsten.
Speziell seelische Verletzungen und traumatische Erlebnisse können von der vorherigen Generationen unbewusst in ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung integriert werden und so auf ihre Kinder oder gar Enkelkinder übertragen werden. Dies kann eine enorme Auswirkung auf das Wohlbefinden der betroffenen Personen haben, obwohl sie das ursprüngliche traumatische Ereignis gar nicht selbst erlebt haben.
Können Traumata wirklich auf Kinder und Enkelkinder übertragen werden?
Die moderne Forschung zeigt, dass die transgenerationale Weitergabe von Traumata sehr real ist - wenn auch komplex und facettenreich. Insbesondere in Bezug auf extreme Formen der Traumatisierung, wie zum Beispiel Kriegs- oder Verfolgungserfahrungen, ist eine transgenerationale Übertragung durch veränderte Kommunikations- und Bindungsmuster innerhalb der Familie nachgewiesen.
Biologisch wird diskutiert, ob epigenetische Veränderungen eine Rolle spielen könnten - also Modifikationen in der DNA-Struktur, die das Verhalten der Gene beeinflussen, ohne ihre Basensequenz zu verändern. Der genaue Mechanismus der transgenerationalen Weitergabe von Traumata ist jedoch noch nicht vollständig verstanden und bedarf weiterer Forschung.
Warum ist die transgenerationale Weitergabe von Traumata problematisch?
Die transgenerationale Weitergabe von Traumata ist problematisch, weil sie ein Leiden unbewusst weiterführt und das Leben von eigentlich unbetroffenen Menschen negativ beeinträchtigt. Falls das Trauma nicht erkannt und behandelt wird, manifestiert es sich möglicherweise in Form von emotionalen und psychischen Störungen wie Angstzuständen, Depressionen oder posttraumatischer Belastungsstörung. Dies kann dazu führen, dass die betroffenen Personen Schwierigkeiten in ihren sozialen Beziehungen, bei der Arbeit oder im allgemeinen täglichen Leben erfahren.
10 Symptome eines transgenerationalen Traumas
Leider ist es besonders schwer, ein transgenerationales Trauma zu erkennen, da die Person, die das Trauma vererbt bekommen hat, kein Ursprungserlebnis oder Auslöser findet. Ein transgenerationales Trauma äußert sich oft subtil und wird von der betroffenen Person eher unbewusst erlebt. Die Symptome sind vielfältig, wie zum Beispiel:
- Unsicherheit in Bindungen: Dies kann sich in Misstrauen, Vermeidung von Nähe oder Angst vor Abweisung äußern.
- Starke Ängste oder Phobien, die keine direkte Ursache in der eigenen Lebenserfahrung haben.
- Schlafstörungen oder wiederkehrende Albträume, insbesondere solche mit traumatischem Inhalt.
- Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen, gekennzeichnet durch Konflikte, Instabilität oder Trennungsangst.
- Emotionale Instabilität: Neigung zu plötzlichen Gefühlsschwankungen, insbesondere in Stresssituationen.
- Anfälligkeit für Stress: Gefühl der ständigen Überwältigung und Unfähigkeit, mit alltäglichen Anforderungen umzugehen.
- Unklare körperliche Beschwerden, für die keine medizinische Ursache gefunden werden kann.
- Suchtverhalten, ob Alkohol, Drogen oder Verhaltenssüchte wie Glücksspiel.
- Depression oder anhaltende Trauer, die chronisch zu sein scheint und nicht auf bestimmte Ereignisse zurückzuführen ist.
- Selbstverletzendes Verhalten oder Suizidgedanken.
Transgenerationale Weitergabe von Trauma auflösen und verhindern
Die Auflösung eines transgenerational übertragenen Traumas ist unglaublich wichtig, um den Kreis zu durchbrechen und kein weiteres Leid an unbetroffene Kinder weiterzugeben. Das Erkennen und Lösen eines transgenerationalen Traumas erfordert in der Regel unbedingt professionelle Hilfe. Wenn Sie den Verdacht auf ein transgenerationales Trauma bei sich selbst oder in Ihrer Familie haben, gibt es folgende Möglichkeiten:
1. Psychotherapie
Eine professionelle Therapie ist der wichtigste Schritt, um das Trauma zu erkennen und erfolgreich zu bearbeiten. Sie sollten sich in jedem Fall in die Hände eines Experten geben. Es gibt verschiedene therapeutische Ansätze, die besonders für die Bearbeitung von transgenerationalen Traumata geeignet sind. Dazu gehört beispielsweise die Trauma-Therapie, Familienaufstellungen oder psychoanalytische Therapien. Informieren Sie sich bei Ihrer Krankenkasse über das genaue Vorgehen zur Vergabe eines Therapieplatzes.
2. Gesunder Lebensstil
Neben der Therapie ist es zudem hilfreich, sich Achtsamkeits- und Entspannungsübungen anzueignen, um besser mit Stress umzugehen. Pflegen Sie außerdem einen gesunden Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, genügend Schlaf und regelmäßiger körperlicher Bewegung.
3. Bildung gesunder Bindungen
Offene und ehrliche Kommunikation in der Familie und der frühe Aufbau von Bindung und Vertrauen können helfen, die Weitergabe von Traumata zu verhindern.
Transgenerationale Traumata übertragen sich nicht zwangsläufig,
sagt der Trauma-Spezialist Harald Schickedanz gegenüber Deutschlandfunk Kultur.
Es braucht dafür gewisse Voraussetzungen. Eine enge zwischenmenschliche Beziehung in den frühen Kinderjahren reicht beispielsweise schon aus, um die Gefahr für Traumafolgestörungen zu verringern.
4. Achtsamkeit und bewusstes Leben
Durch Achtsamkeitsübungen lernen Sie, Ihren Geist auf das Hier und Jetzt zu richten. Dies kann helfen, den Fokus von traumatischen Erinnerungen abzulenken und neue, positive Erfahrungen zu machen. Versuchen Sie aktiv, sich nicht in negativen Gedankenspiralen zu verlieren.
5. Unterstützung von Selbsthilfegruppen
Der Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, kann bei der Bewältigung von Traumata sehr hilfreich sein.
Achtung: Bitte denken Sie daran, dass diese Hinweise Unterstützung bieten können, dennoch sollten sie nicht die professionelle Beratung und Betreuung durch qualifizierte Gesundheitsexperten ersetzen. Bei einem Verdacht auf ein transgenerationales Trauma ist es stets ratsam, einen Fachmann aufzusuchen.
Quellen: Deutschlandfunk Kultur; Ärzteblatt