
Vier Monate auf den Arzttermin lauern. Dann ewig im Wartezimmer sitzen. Und wenn man endlich drankommt, ist die Behandlung nach drei Minuten schon wieder vorbei. Als Patient fühlt man sich heute häufig nur noch wie ein Kostenpunkt, der hin und her geschoben wird. Kein Wunder, dass bei einer aktuellen Umfrage des GfK-Marktforschungsinstituts zwei Drittel der Deutschen angeben, sich schon mindestens einmal über ihren Arzt geärgert zu haben. Die häufigsten Gründe: zu lange Wartezeiten, zu kurze Behandlungen, Unfreundlichkeit der Mediziner.
Kompliziertes Verhältnis
Die Beziehung von Arzt und Patient ist insgesamt problematischer geworden. Das liegt nicht am Willen der Ärzte, sie müssen schließlich die Gesundheitsreformen umsetzen. So erhalten sie weniger Geld für die individuelle Behandlung – speziell das Patientengespräch. Folgen: Sprechzeiten werden häufig reduziert, vor dem Ende eines Quartals schließen viele Praxen oder dringende Termine werden verschoben. Dass Privatpatienten bevorzugt behandelt werden, leugnen viele Mediziner heute nicht einmal mehr. Gleichzeitig sind die Patienten emanzipierter als früher. Einst galten die „Halbgötter in Weiß“ als Autoritäten – was sie sagten, wurde gemacht. „Heute informieren sich die Patienten vorher per Zeitschriften, Internet und Ratgeberliteratur. Sie wollen dem Arzt auf Augenhöhe begegnen“, erklärt Kai Kirchner von der Unabhängigen Patientenberatung in Erfurt.
Vertrauen ist die Basis zwischen Arzt und Patient
Vertrauen ist die Basis zwischen Arzt und Patient
Kai Kirchner von der Unabhängigen Patientenberatung in Erfurt. Die bundesweite Beratung versteht sich als „Wegweiser und Lotse“ durch das immer komplizierter werdende deutsche Gesundheitswesen. Sie bietet ihre Unterstützung im Internet unter www.unabhaengige-patientenberatung.de oder über die kostenlose Hotline 0800/0 11 77 22 an. So eine Orientierungshilfe ist auch dringend notwendig, denn zurzeit leiten die Patienten ihre Rechte aus unsortierten Gesetzen, Empfehlungen von Fachverbänden und rechtskräftigen Urteilen ab. Mehrere Bundestags-Parteien bereiten derzeit Gesetzentwürfe vor, um ein einheitliches Patientenrecht zu schaffen. Darin sollen Arztpflichten, Wartezeiten, Therapiewahl sowie Regeln bei Kunstfehlern zusammengefasst werden. Hier ein kleiner Überblick über die aktuelle Rechtsprechung:
Hat man als Patient ein Recht auf Behandlung?
Sollte man annehmen, ist aber tatsächlich etwas komplizierter. Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, muss jeder Arzt die Vitalfunktionen wie Bewusstsein, Atmung und Kreislauf stabilisieren. Da spielt es keine Rolle, ob er einen Privat- oder Kassenpatienten vor sich hat. Anderes gilt, wenn kein Notfall vorliegt: Ein Arzt mit kassenärztlicher Zulassung darf Patienten in begründeten Fällen abweisen, zum Beispiel wenn die Praxis überlastet oder das Vertrauensverhältnis gestört ist. Etwa wenn der Patient die Versicherungskarte nicht vorlegt oder die Praxisgebühr nicht bezahlt. Privatärzte können hingegen – außer eben in Notfällen – eine Behandlung auch ganz ablehnen.
Muss man lange Wartezeiten akzeptieren?
Nicht grundsätzlich. Es gibt jedoch keine eindeutig festgelegte Frist, wie lange man bei vereinbarten Terminen Geduld haben muss. Bis zu 30 Minuten gelten in der Rechtsprechung als akzeptabel. Wenn Wartezeiten sich regelmäßig über Stunden ziehen und grundlegende Organisationsfehler belegt werden, kann der Patient aber Schadensersatz verlangen, etwa für den Arbeitsausfall.
Ungerechtfertigte Rechnungen niemals bezahlen
Ungerechtfertigte Rechnungen niemals bezahlen
Was passiert, wenn man einen Termin verpasst hat?
Als Patient hat man dann nur selten mit Konsequenzen zu rechnen. „Patientenpflicht bedeutet aber grundsätzlich, zur Behandlung zu erscheinen“, sagt Kirchner. Wenn man es nicht schafft, sollte man absagen. „Entstehen dem Arzt durch vorbereitete Untersuchungen oder Behandlungen Kosten, kann dieser im Gegenzug dafür Schadensersatz vom Patienten verlangen.“
Darf der Arzt zusätzlich Geld verlangen?
Ja, aber er muss es mit dem Patienten besprechen. Neben den Standarduntersuchungen und -therapien versuchen viele Mediziner über sogenannte IGeL-Leistungen (individuelle Gesundheitsleistungen), mehr Gewinn zu erwirtschaften. Das kann eine medizinischkosmetische Beratung sein oder auch Akupunktur. Setzt ein Arzt IGeL ein, muss er genau sagen, was man für wie viel Geld bekommt, und einen zusätzlichen Behandlungsvertrag ausstellen. Handelt es sich um größere oder teurere Eingriffe, sollte man auf Bedenkzeit und einen neuen Termin bestehen.
Was kann man tun, wenn der Arzt zu viel Geld einfordert?
Verlangt ein Arzt unberechtigt Vorkasse oder stellt er ungerechtfertigte Rechnungen aus, sollte man nicht bezahlen, rät die unabhängige Patientenberatung. Am besten informiert man die Krankenkasse oder die Landesärztekammer, die den Arzt gegebenenfalls abmahnen. Hat man bereits gezahlt, kann man sein Geld zurückfordern.
Die Auswahl der Therapie und der Klinik
Die Auswahl der Therapie und der Klinik
Wer entscheidet über die Therapiewahl?
Grundsätzlich gilt bei der Therapie- wie bei der Krankenhauswahl die Entscheidungsfreiheit des Patienten. Allerdings sollte man sich immer mit dem Arzt beraten, der muss schließlich therapieren beziehungsweise die Überweisung ausstellen.
Muss der Arzt immer so behandeln, wie der Patient es will?
Nein. Der Arzt kann auch eine gewünschte Behandlung ablehnen. Verlangt ein Patient etwa eine Therapie, die bei der diagnostizierten Krankheit überhaupt keine Wirkung hat, muss der Arzt sie nicht ausführen. Umgekehrt darf der Arzt nur eingreifen, wenn der Patient eindeutig zugestimmt hat – außer in Notfällen.
Kann der Patient die Klinik frei auswählen?
Nicht ganz. Nur wenn das Krankenhaus zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen ist, darf der Patient sie auswählen. Entscheidet er sich für eine andere Klinik und entstehen so Mehrkosten, kann die Kasse ihm diese teilweise oder ganz in Rechnung stellen.
Behandlungsfehler und Patientenakte
Behandlungsfehler und Patientenakte
Was passiert, wenn der Arzt falsch behandelt?
Das hängt vom begangenen Fehler ab. Der Arzt muss immer nach dem aktuellen Stand der Medizin über anstehende Maßnahmen, Gefahren und Alternativen informieren. Hat der Patient nicht verstanden, wie groß die Risiken einer vom Arzt empfohlenen Behandlung sind, und kommt es daraufhin zu Folgeschäden, etwa einer Behinderung, ist der Arzt in der Beweispflicht. „Er muss in diesem Fall nachweisen, dass er richtig aufgeklärt hat“, sagt Kirchner. Bei sogenannten Kunstfehlern, zum Beispiel wenn der Arzt sich beim Befund und der Diagnose irrt, muss der Patient dafür die Belege finden.
Was steht in einer Patientenakte?
Darin werden Beschwerden, Diagnosen und Behandlungen festgehalten. Die gesammelten Informationen müssen vor allem für andere Mediziner nachvollziehbar sein. Der Arzt muss sie mindestens zehn Jahre aufbewahren – Röntgenbilder sogar dreißig Jahre.
Wer darf die Patientenakte einsehen?
Sie ist zwar Eigentum des Arztes, er muss dem Patienten aber jederzeit Einsicht gewähren. „Die medizinisch relevanten Informationen darf mit wenigen Ausnahmen nur der Patient einsehen“, erklärt Kirchner. Will jemand anderes Einsicht, egal ob Polizei, Staatsanwaltschaft oder andere Ärzte, muss der Patient einwilligen.
Ärztliche Kunstfehler - Wann macht es Sinn zu klagen?
Ärztliche Kunstfehler - Wann macht es Sinn zu klagen?
Interview mit Dr. Boris Meinecke, Fachanwalt für Medizinrecht aus Köln
Kommt es häufig zu Behandlungsfehlern? Die Zahl schwankt in Deutschland nach offiziellen Angaben zwischen 100 000 und 500 000 jährlich. Die Dunkelziffer dürfte aber erheblich höher liegen.
Werden alle Fälle gerichtlich verfolgt? Nein. Im Schnitt kommt es jedes Jahr zu 10 000 bis 20 000 Kunstfehlerprozessen – Tendenz steigend.
Wie sind die Erfolgsaussichten? Je nachdem, wer die Rechte des Patienten vertritt, liegt die Erfolgsquote zwischen 10 und 50 Prozent.
Was kann ich tun, wenn ich mich geschädigt fühle? Zuerst sollten Sie Gedächtnisprotokolle anfertigen, auch durch Angehörige und andere Zeugen. Besorgen Sie sich Behandlungsunterlagen als Kopie – zur Herausgabe ist der Arzt verpflichtet. Dann sollten Sie sich medizinischen Rat einholen, durch externe Gutachter, den Medizinischen Dienst der Krankenkasse oder die zuständigen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen. Um die Ansprüche außergerichtlich durchzusetzen, kann ein Anwalt hilfreich sein.
Wann macht es Sinn zu klagen? Nur wenn man sich außergerichtlich nicht einigt und die Fehlbehandlung sicher nachgewiesen ist. Die Kosten dafür liegen fünfbis zehnmal höher.
Wie groß fallen die Entschädigungen aus? Das hängt vom Schaden ab. Sie setzen sich aus dem Schmerzensgeld und der Erstattung sämtlicher materieller Schäden zusammen. In Deutschland kann das Schmerzensgeld bis zu 600 000 Euro betragen, etwa bei Querschnittslähmung. Materielle Ersatzansprüche können in die Millionen gehen.
