Handwerksberuf: Weberin

Handwerksberuf: Weberin

In unserer Serie stellen wir Ihnen regelmäßig einen Handwerksberuf vor, der schon fast ausgestorben ist. Diesmal: die Weberin Antigone Hochstedt aus Frellstedt.

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Handwerksberuf: Weberin

Dass es mit ihrem Beruf zumindest in Deutschland zu Ende geht, spürte Antigone Hochstedt, 49, auf einem Ritt durch Süddeutschland. Auf dem Rücken ihres Pferdes Farin, begleitet von ihrer Hündin, hatte sich die gelernte Weberin an der deutsch-schweizerischen Grenze auf den Weg gemacht, um Handwerksbetriebe anzuschauen. Die ungewöhnliche Gesellenwanderung sollte Arbeitssuche, Ausprobieren und Lernen sein, auch eine Bestandsaufnahme: Was macht die Weberzunft in Deutschland? „Nach einem halben Jahr“, sagt Hochstedt, „hatte ich wenig gewebt, viele geschlossene Werkstätten angetroffen und oft mit ehemaligen Webern Kaffee getrunken.“
Die Bilanz hätte ernüchternd sein können, aber dass Hochstedt heute in ihrer eigenen Weberei im niedersächsischen Örtchen Frellstedt sitzt, hat viel damit zu tun, dass der Faden ihres Lebens nicht fest eingespannt ist, wie es beim Weben sein muss, sondern sie mal hier und dort entlang führt, aber dann doch ans Ziel – an den eigenen Webstuhl. Eine Holzkonstruktion, die ächzt und ruckelt, wenn Hochstedt vor ihr sitzt und arbeitet.
Bunte Schals und Decken, Kissenbezüge und Mäppchen entstehen hier, die Welt wäre um einiges farbloser, wenn Hochstedt das Weben aufgegeben hätte – damals, als sie mit ihrem Pferd bis nach Nürnberg gekommen war. Auf einer Handwerker-Messe saß sie abends am Weberstammtisch mit Berufskollegen zusammen. Einer wusste, dass eine Weberin in Regensburg Arbeit zu vergeben hatte. Antigone Hochstedt sattelte ihr Pferd und war rund 100 Kilometer später am Ziel. Doch die Chefin webte nicht, sondern tuftete Teppiche – bei dieser Technik ersetzt eine umgebaute Bohrmaschine den Webstuhl. Nicht die Art der Weberei, die Antigone Hochstedt gelernt hat, aber immerhin ein Job und die Möglichkeit, sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Hochstedt blieb eine Weile, wechselte dann zu einer Firma in Regensburg, die psychisch Kranken bei der Eingliederung in ein normales Leben hilft. Dort leitete sie die Weberei, in der Flickenteppiche hergestellt wurden. Therapeutische Arbeit liegt ihr, sagt sie. Das Gefühl, mit ihrem Handwerk nicht nur die Lust auf Schönes zu wecken, einen Markt zu bedienen, sondern Sinnvolles zu tun, befriedigt sie.

Mit dem Pferd gen Norden


Aber auch das wurde nur ein Kapitel; es war das Heimweh, das die gebürtige Kielerin gen Norden trieb. Sie schnürte wieder ihre Sachen und ritt los. Es mag ungewöhnlich klingen, dass sich heutzutage jemand auf einem Pferd allein auf den Weg macht, die Habseligkeiten verstaut zu einem Bündel. Antigone Hochstedt, eine, die gern im Gestern lebt, nicht nur ein aussterbendes Handwerk als Beruf betreiben will, sondern sich auch fortbewegt, wie es zur Hochzeit der Weberei im 19. Jahrhundert normal war? „Ja, was hätte ich denn mit dem Pferd machen sollen? Es war das einzig Logische“, sagt sie – und sieht ihr Leben ganz sicher nicht als „Stoff für Legendenbildung“.
Als Elfjährige hatte sie angefangen, auf ein eigenes Pferd zu sparen, noch keine 18, da kaufte sie es. Seitdem gehörte die Stute Farin zu ihr. Hochstedt findet es normal, dass sie so auf Wanderschaft ging und nicht anders. Sie legt eine schwarze Mappe mit Bildern auf den Tisch in ihrer Werkstatt: Das Pferd grast in Cham an der deutsch-tschechischen Grenze, das nächste Foto zeigt das Tier nahe Jena in der Einsamkeit eines Dorfes, dem man die DDR noch ansieht. Das letzte Bild: die zwei in den Elbauen bei Tangermünde. Da waren sie fast am nächsten Ziel. Nicht weit weg, in der Braunschweiger Gegend, wohnten Freunde, die sie besuchte. Sie blieb, wurde Praktikantin eines Webermeisters, „um zu sehen, dass ich mein Handwerk noch kann“. 1996 war das, seitdem ist sie sesshaft in der Gegend, bestand ihre Meisterprüfung und machte sich vor sechs Jahren selbstständig. Als Weberin in Frellstedt. Ein kleines Nest in einer Gegend, die vor gut zwanzig Jahren noch Zonenrandgebiet war. Hochstedt fand ihre Werkstatt gegenüber einem Schreibwarenladen mitten im Ort. Ihr Pferd ist vor drei Jahren gestorben; manchmal denkt sie, dass sie längst weitergezogen wäre, wenn es noch lebte.
Gerade arbeitet Hochstedt an zwei Stoffbahnen, aus denen acht grünlich-gelbe und acht bläuliche Schals werden. Auf dem Webstuhl wachsen die Bahnen in die Länge, es ist der Teil der Arbeit, der im Hin- und Herschießen des Schiffchens besteht, wobei Schießen ein viel zu lautes Wort ist, denn das glatte Holzteil gleitet lautlos durch den Raum, der sich zwischen den längs laufenden Kettfäden öffnet, die Hochstedt mit Hilfe der Pedale hebt und senkt. „Das hat etwas Meditatives“, sagt Hochstedt, „man kann gut dabei denken.“ Neue Muster, neue Produkte, die Lösung für den besten Verschluss für die gewebten Boas, die sie ins Programm nehmen will: Schals mit Namen wie „Ich fühl mich Hippie“ oder „Ich gönn mir Wellness“. Ihre Produkte verkauft Hochstedt auf Handwerksmärkten oder übers Internet. Bunt sind ihre Sachen, sie sollen Spaß machen und alltagstauglich sein.

Einrichten des Webstuhls


Kompliziert: das Einrichten des Webstuhls
Ihre Tätigkeit sieht leicht aus, aber das täuscht: Weben ist Konzentration und körperliche Arbeit, die Beine treten die Pedale, die Hände schwingen und geben im richtigen Moment das Schiffchen frei. Jeder Faden muss sitzen, damit am Ende keine Dellen im Stoff sind oder Lücken. Den kompliziertesten Teil der Arbeit hat Hochstedt da längst getan: Das Einrichten des Webstuhls beginnt an einem anderen Gerät – dem raumgreifenden Schärrahmen, einem würfelförmigen Holzgestell, das sich auf einem Fuß drehen lässt. Spulen voller Wolle – von ihr selbst gefärbt – hat Hochstedt auf den grünen Teppichboden der Werkstatt gestellt und die Fäden nach Farben so zusammengefasst, dass die Kettfäden dem Schal das gewünschte Muster geben.
Sie hat den Schärrahmen gedreht, bis meterweise Wollfäden um ihn herumliefen, gesichert durch ein Fadenkreuz, das die Fäden zusammenhält. Eine Wurst aus Wolle entsteht so, ein undurchdringliches Gewirr, aber doch so geordnet, wie die Weberin es braucht. Auf 26 Zentimeter verteilt, werden die Fäden in den hinteren Teil des Webstuhls gespannt und in einer sauberen Bahn paralleler Fäden zum vorderen Teil geführt – das Rückgrat eines Schals, das durch die Schussfäden zu einer dichten, kuscheligen Decke gefügt wird. Das alles kann einen Arbeitstag dauern. Gut hundert Jahre alt ist Hochstedts Webstuhl, handgeschmiedete Nägel sind zu erkennen, Spuren der Zeit. Hochstedt hat an ihm ihre Lehrzeit im schwäbischen Mittelfischach verbracht. Jahre später kaufte sie den Stuhl. „Halb lebendig“ sei er für sie, lässt sich gut zusammenlegen und wieder aufbauen. „Der ist mir sympathisch“, sagt sie.
Antigone Hochstedt weiß, dass es irgendwann wieder so weit sein wird: Dann wird sie den Stuhl behutsam auseinandernehmen und reisefertig verpacken, wird ihre Sachen nehmen und einen neuen Ort suchen. Erstmals ohne Pferd, aber voller Gewissheit, sich dort zu Hause zu fühlen, wo sie als Weberin arbeiten kann. Am liebsten in der Gegend von Kiel. „Da gehöre ich hin“, sagt sie. Dort, von wo aus sie aufbrach, um das Weberhandwerk zu erlernen, das sie seither mit sich trägt und erhalten will.

Liebevolle Handarbeit
Antigone Hochstedt webt Schals (ab 53 Euro), Babytragetücher (ab 144 Euro), Kissenbezüge (40 x 40 cm ab 35 Euro) und Federmäppchen (12 bis 17 Euro) aus Baumwolle und Leinen. Ihre Produkte sind in ihrer Werkstatt im niedersächsischen Frellstedt (Warberger Straße 14), auf Handwerkermärkten in Norddeutschland und übers Internet (www.dawanda.com/user/WildeWebe) erhältlich. Weitere Infos über Tel. 053 55/99 05 62.

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