Sind wir nicht alle irgendwo Bodyshamer?

Irgendwo zwischen dick und dünn habe ich mich auf der Suche nach den richtigen Worten auf einen besonders schmalen Grat begeben. Dabei immer an meiner Seite: die wunderbare Aylin Kockler.

Es ist gar nicht so lange her, da habe ich die Serie "Hübsches Gesicht" gesehen.In dieser Serie geht es um die mehrgewichtige Gigi, die von ihrem Freund mit einem Trip überrascht wird. Oder sagen wir so: Er hat sie in einem "Fat Camp" angemeldet. Das Setting wurde zwar bewusst surreal gewählt – alle Diskriminierungen, die in der Comedyserie thematisiert werden, beruhen jedoch auf wahren Erlebnissen. Und auch wenn es sich hier um eine Comedyserie handelt, so wusste ich doch oft nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Vielleicht habe ich mich auch ein bisschen geschämt. Denn es geht in der Serie nicht um das Mehrgewicht an sich, sondern darum, wie unsere Gesellschaft mit diesem Thema umgeht – mich eingeschlossen.

Suche anderes Wort für "dick"

Bodyshaming bedeutet, einen Menschen aufgrund seines Aussehens zu bewerten, im schlimmsten Fall sogar abzuwerten – und das sorgt bei mir für Unsicherheit. Ich habe nämlich ständig Angst davor, etwas Falsches zu sagen oder auch nur zu denken. Schließlich schaffe ich es nicht mal, meinen eigenen Körper wertfrei zu betrachten. Und auch in meinem Job als Redakteurin finde ich mich beim Schreiben immer irgendwo zwischen "kaschieren" und "in Szene setzen" wieder. Denn egal, für welche Formulierung ich mich auch entscheide – ich bewege mich immer auf einem schmalen Grat. Immer auf der Suche nach neutralen Formulierungen, nach Adjektiven, die frei von jeglicher Wertung sind, die niemanden verletzen.

Ich bin zwar froh, dass ich in eine Generation hineingeboren wurde, die solch wichtigen Themen ihre Aufmerksamkeit schenkt, einfacher wird es dadurch aber nicht – im Gegenteil. Denn im Wirrwarr der politischen Korrektheit fällt es mir oft schwer, die richtigen Worte zu finden. Wie also drücke ich mich richtig aus, wie kann auch ich meinen Beitrag dazu leisten, dass "dünn" kein (zugegeben, äußerst fragwürdiges) Kompliment mehr ist und und "dick" keine Beleidigung? Was kann auch ich tun, um Bodyshaming endlich den Kampf anzusagen?

Aylin Kockler im Interview: "Wir können es leider nicht vermeiden, Bodyshaming zu erleben"

Ziemlich sicher, dass Aylin Kockler meine Fragen beantworten kann. Sie ist es nämlich, die es als Drehbuchautorin von "Hübsches Gesicht" geschafft hat, eine bislang noch nie dagewesene Auseinandersetzung mit dem Thema Bodyshaming im deutschen Fernsehen darzustellen – mit dem Ziel, Sehgewohnheiten herauszufordern und zu verändern.

Dicke Menschen in Filmen und Serien werden oft als eindimensionaler funny fat friend, als Opfer oder als bemitleidenswert dargestellt. Uns war es wichtig, authentische und vielschichtige Charaktere zu zeigen, die mit diesem und weiteren Klischees über dicke Menschen brechen. – Aylin Kockler

Sind wir nicht alle irgendwo Bodyshamer?

Ich bin mir sicher, dass jeder Mensch hin und wieder diskriminierende Gedanken zu sich oder anderen hat, das kann man leider nicht verhindern. Den Unterschied macht aber, ob ich hinterfrage, wieso ich so denke und die Entscheidung, den Gedanken zu verwerfen oder tatsächlich auszusprechen. Denn auch wenn wir nicht die Verantwortung für unsere Gedanken haben, so haben wir sie durchaus für unsere Worte und Handlungen.

Was können wir gegen Bodyshaming im Alltag tun?

Es wäre toll, wenn man Körper einfach nicht mehr kommentieren würde. Auch nicht, wenn wir meinen, ein Kompliment auszusprechen. Wenn ich als dicker Mensch etwas Haut zeige und mir jemand sagt: "Ich wäre gerne so mutig wie du", ist das für mich kein Kompliment. Man kann auch einfach sagen "Mir gefällt dein Outfit". Außerdem weiß man nie, was ein Mensch gerade durchmacht. Vielleicht hat er zu- oder abgenommen, weil es ihm schlecht geht. Vielleicht steckt eine Essstörung dahinter, die man mit seinem Kommentar noch verstärkt. Es gibt so viele spannende Dinge im Leben, über die man sich austauschen kann, da ist es doch wirklich nicht nötig, ständig den Körper kommentieren zu müssen.

Aylin Kockler hat den RTL-Nachwuchswettbewerb "Storytellers" gewonnen – und durfte gemeinsam mit RTL+ ihre eigene Serie drehen. Hier kann man "Hübsches Gesicht" im Online Stream ansehen >>

© Ferdos Sililo-Simon

Ist es überhaupt noch möglich, einen Körper wertfrei zu umschreiben?

Wenn man eine dicke Person als "dick" und eine dünne Person als "dünn" beschreibt, sehe ich persönlich kein Problem, wenn es eine Feststellung ist. Wenn man meint, jemandem als dick zu bezeichnen, sei bereits eine Beleidigung, zeigt das nur, dass die Person "dick" leider mit etwas Negativem verbindet oder als Synonym für irgendwas anderes verwendet. Problematisch finde ich zum Beispiel, wenn dünne Menschen nach dem Essen sagen, dass sie sich jetzt "dick" fühlen. Oder, der Klassiker, wenn dicke Menschen zu hören bekommen: "Ich finde dich nicht dick, ich finde dich schön“.

Und wie können wir lernen, nicht nur andere, sondern auch uns selbst völlig wertfrei zu betrachten?

Ich finde auf jeden Fall nicht, dass man sich feiern muss, egal, wie man aussieht. Es ist völlig in Ordnung, mal gute und mal schlechte Tage mit sich selbst zu haben. Aber ich wünsche allen Menschen, dass sie sich akzeptieren können, so wie sie jetzt gerade sind. Das mache ich auch. Man sollte sich lieben dürfen, wie man ist, sich aber auch verändern dürfen, wenn man das möchte – und zwar ohne irgendjemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Das eigene Körpergefühl sollte etwas sein, das nur einen selbst etwas angeht.

Wie stellst du dir eine Welt ohne Bodyshaming vor?

Wir hätten mehr Kraft, Zeit und Energie für die wirklich wichtigen Dinge im Leben, wenn wir uns nicht mehr mit Sorgen auseinandersetzen würden, die andere in uns auslösen. Und, weil so gerne von der Angst um die Gesundheit gesprochen wird – um unsere mentale Gesundheit wäre es bestimmt sehr viel besser bestellt. Wir können es leider nicht vermeiden, Bodyshaming zu erleben. Was wir aber vermeiden können, ist zuzulassen, dass das Negative, das andere an unser Äußeres richten, etwas mit unserem Inneren macht.

Bin ich doch kein Bodyshamer?

Nach dem Gespräch mit Aylin fühle ich mich besser. Mir scheint es, als sei ich auf dem richtigen Weg – schließlich hinterfrage ich mein Denken, halte inne, bevor ich meine Gedanken zu Worten oder Taten werden lasse. Ja, wir sind in einer Generation groß geworden, in der dieses Umdenken Kraft kostet. Wir sind mit verzerrten Körperbildern aufgewachsen, einem gesellschaftlichen Schönheitsideal. Und doch haben wir unseren Eltern einiges voraus, denn wir haben bereits erkannt, dass das eine Schönheitsideal eben auch ein einseitiges, falsches Schönheitsideal ist. Wir können beeinflussen, wie wir uns selbst, aber auch andere bewerten. Wir können der nächsten Generation einen normalen Umgang mit dem Körper ermöglichen. Wir können es vielleicht nicht vermeiden, Bodyshaming zu erleben – aber wir können endlich damit aufhören, den Körper anderer zu kommentieren.