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Was ich mit 30 wirklich erreicht haben will
Kein Grund zur Panik, oder? Kurz vor meinem 30. Geburtstag habe ich mit Autorin Jennifer Klinge über abgefahrene Züge, tickende Uhren und gesellschaftliche Erwartungen gesprochen.

In meinem Freundeskreis bin ich für meine klugen Ratschläge bekannt. Und so habe ich all meinen Freundinnen, die in letzter Zeit 30 geworden sind, Mut gemacht – 30 ist schließlich das neue 20, habe ich gesagt. Blöd nur, dass ich jetzt selbst an der Reihe bin. Noch blöder, dass ich kurz davor bin, durchzudrehen.
Ist das jetzt schon die Midlife-Crisis?
Die Wohnung, in der ich seit Jahren lebe, wird immer kleiner. Mein Job ist eine Konstante, aber eben auch nur das. Immerhin, verheiratet bin ich schon. Ansonsten: Stillstand auf allen Ebenen, während meine Freunde an mir vorbeiziehen. Mit steilen Karrieren, einem Haus im Grünen, dem mittlerweile schon zweiten Kind. Und mir? Mir bleibt nicht mal mehr ein halbes Jahr bis zum Thermomix und Bugaboo. Nur noch fünf Monate bis zur Doppelhaushälfte und einem praktischen Kombi, der uns sicher von A nach B bringt. Noch vier Monate für meinen Platz auf der "30 under 30".
Ja, ich gebe es zu: Irgendwas macht die 30 mit mir. Und wenn es nur ist, dass ich plötzlich anfange, einfach alles infrage zu stellen. Vor allem aber frage ich mich, was ICH eigentlich will. Wer mich kennt, weiß schließlich, wie viel Ironie in dem oben genannten 4-Monats-Plan steckt. Gut, das mit den "30 under 30", das nervt mich schon ein bisschen. Aber ansonsten bin das doch gar nicht ich. Ich bin zufrieden, so wie es ist. In meiner kleinen Wohnung, in meinem Job, den ich so liebe. Wieso also lasse ich mich von diesen gesellschaftlichen Erwartungen, von tickenden Uhren und abgefahrenen Zügen so unter Druck setzen?
Jennifer Klinge im Interview: "Die 30er sind tough, aber geil"
Eine, die genau weiß, wie ich mich fühle, ist Autorin Jennifer Klinge. Denn auch sie hat sich von genau diesen "Mach-mal-hinne-Belehrungen" viel zu lange unter Druck setzen lassen. In ihrem Buch „Auch gut!“ erzählt sie, wie es ihr gelungen ist, sich von gesellschaftlichen Erwartungen zu lösen – mit interessanten Facts über das patriarchal konstruierte Frausein und Interviews von inspirierenden Frauen, die fernab der Blaupause ein spannendes Leben führen. Was wir mit 30 wirklich erreicht haben sollten? Das hat mir Jennifer im Interview verraten.
Ich werde im August 30 – ist das ein Grund zu feiern?
Absolut, wild und rauschend bitte! Vor dir liegt eine unfassbar spannende Zeit. Die Sorge um die 30 ist meiner Meinung nach völliger Quatsch – 30 ist superjung und es liegt an uns selbst, welche Geschichte wir uns über dieses Alter erzählen.
Ist 30 wirklich das neue 20?
Natürlich hat sich alles ein bisschen verschoben und 30 wird heute oft mit einem anderen Lebensgefühl verbunden als früher. Ich finde es bereichernd, sich generell von diesen an Zahlen festgemachten Entwicklungsstufen zu lösen. Die Idee, es gebe einen Zeitstrahl, der abbildet, was sich wann im Leben entwickeln muss, macht Druck, wo keiner sein müsste.
Wer gibt uns überhaupt vor, wie man als Frau so zu sein hat und was wir in welchem Alter erreicht haben sollen?
Im Grunde das patriarchale System mit seiner eng abgesteckten Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit, den dazugehörigen Rollenvorstellungen und Attributen. Diese Mann-Frau-Kinder-Happy-End-Story wurde uns viel zu oft erzählt – und schnell zum Synonym fürs Erwachsensein. Ich habe deswegen irgendwann ein starkes Vorbildbedürfnis gespürt – nach Frauen, die irgendwas anders machen. Ich war plötzlich getrieben vom Alter, habe inspirierende Frauen gegoogelt, um zu erfahren, wie alt sie sind, wie sie so leben. Was ich mir wünschte: Viel mehr Frauen, die zeigen, dass die 30er für so vieles da sind.
Wie können wir uns vom Druck, es allen recht machen müssen, erfolgreich befreien?
Mir hat es geholfen, mich und mein Leben bis fast bis in jede Zelle umzukrempeln. Ich habe gelernt loszulassen und mir selbst zu vertrauen. Weniger Halt im Außen zu suchen, stattdessen meine innere Stimme zu finden und meine Intuition zu schulen. Mit Therapie, Coachings, Lektüren bis zum Umfallen, mit Offenheit für neue Blickwinkel. Und ich habe angefangen, ans eigene Timing zu glauben, ein Leben zu führen, das andere vielleicht nicht verstehen. Das völlig ok zu finden, hat viel mit persönlichem Wachstum zu tun.
Was, wenn wir um die 30 plötzlich feststellen, dass wir uns unser Leben eigentlich ganz anders vorgestellt haben?
Es gibt selten ein zu spät. Vielleicht erkennen wir dann, dass noch so wenig entschieden, und so vieles offen ist – was auch immer das sein mag. Die 30er sind tough, aber geil. Herausfordernd und beflügelnd, wenn man bei sich bleibt und nicht den Traum von anderen lebt. Es kann so gut sein, dem Leben Raum zu lassen und die Dinge einfach mal passieren zu lassen. Leben heißt auch, mit dem zu sein, was gerade ist, statt nur die Ziele und nicht den Weg zu sehen.
Was sollten wir mit 30 wirklich erreicht haben?
Es gibt kein zu langsam und das Leben ist kein Wettrennen, bei dem man bis 40 alles erreicht haben muss. Wir sollten uns nicht von bloßen Alterszahlen diktieren lassen, wie unser Leben jetzt auszusehen hat. Das Einzige, was wir mit 30 wirklich erreicht haben sollten: Nichts darauf zu geben, was andere von uns erwarten. Die einen werden zum ersten Mal Eltern, die anderen wechseln Städte, gründen ein Unternehmen, stellen sich ihren Blockaden aus der Vergangenheit oder was auch immer. Und das ist alles ganz wunderbar.
Einsteigen bitte!
Nichts darauf geben, was andere von mir erwarten – vielleicht nicht eine meiner leichtesten Übungen, aber definitiv etwas, was ich mir für meine 30er zu Herzen nehmen möchte. Und noch etwas ist mir im Interview mit Jennifer klar geworden: Jetzt, in genau diesem Moment, bin ich genau da, wo ich sein möchte. Ob ich meinen Geburtstag feiere? Aber hallo. Und das gleich doppelt und dreifach, mit Konfetti und knallenden Korken. Vor allem aber mit den Menschen, die ich auf meiner weiteren Reise nicht missen möchte. Mein Zug ist nämlich lange noch nicht abgefahren, die Endstation längst noch nicht erreicht. Ich bestimme meinen Fahrplan selbst – Verspätungen nicht ausgeschlossen.