FS: Jessica, Sie sind Buchautorin “Sei dir selbst der Partner, den du dir wünschst: Warum der Weg zum Traumpartner über Selbstliebe führt“, systemischer Coach & integrative Kinesiologin in Beziehungsfragen. Warum tun sich Singles heutzutage eigentlich so schwer, zusammenzukommen – wollen nicht alle das eine, also eine glückliche Beziehung und einen Partner an der Seite?
JS: Ja, das könnte man meinen… aber das WOLLEN ist nicht der Punkt! Wir Menschen sind da ein bisschen komplexer gestrickt: Wenn es unbewusst eine deutlich größere Motivation gibt, KEINEN Partner an der Seite zu haben – weil z.B. so tiefe Grundüberzeugungen existieren, dass Nähe eigentlich gefährlich ist oder man eh keine Liebe bekommt und wir uns vor diesem emotionalen Schmerz schützen müssen – dann kann man vom Kopf her noch so sehr eine glückliche Beziehung WOLLEN: Es sind immer die UNBEWUSSTEN Überzeugungen, die wir im Außen bestätigt bekommen.
FS: Sie erzählen auf Ihrer Webseite ziemlich schonungslos, wie Ihre bisherigen Beziehungen liefen: Sie sind den Männern hinterhergelaufen, wenn nicht gar durchs Land nachgereist. Warum haben Sie das so lange mitgemacht und wann kam Ihnen der Gedanke, dass da grundsätzlich was falsch läuft?
JS: Mein Glaube war: „Um Liebe muss man kämpfen.“ Also habe ich immer gekämpft, in der Hoffnung, dass es irgendwann ein Happy End gibt. Für mich war es ein Beweis für die Tiefe meiner Gefühle, dass ich zu allem bereit war und ich glaubte immer, dass ein Mann das früher oder später auch erkennen würde. Für mich war das kein „Nachlaufen“, ich war immer überzeugt, dass wir eine Chance und großes Potenzial haben, wenn er das nur erkennt! Ich hab mich also nur bedingt als Opfer gefühlt, sondern als die Gute, die Heldin, die einem Mann zeigen kann, was wahre Liebe eigentlich ist.
Das mit dem falsch laufen war so eine Sache… Ich hab natürlich gemerkt, dass da was falsch läuft – aber ich hab angenommen, dass mit den Männern was falsch läuft! Dass die zu feige, zu unentschlossen, zu beziehungsunfähig sind, mich nicht zu schätzen wissen, mich nicht verdient haben. Auf der anderen Seite habe ich mich auch immer wieder selbst zerfleischt und mich mit Selbstvorwürfen gequält… ich bin halt nicht liebenswert… anscheinend bin ich halt so eine Niete, dass keiner mit mir sein will…
Dass ich dabei immer wieder die Beziehungserfahrungen mit meinem Vater reinszeniert habe, habe ich lange nicht umfänglich begriffen, obwohl ich mich wirklich viel mit mir auseinandergesetzt hatte, Ausbildungen gemacht, Bücher gelesen, Selbsterfahrung, und und und. Als aber die Männer, die ich als „beziehungsunfähig“ abgestempelt hatte, so nach und nach Familie gründeten und ich mit 35 immer noch Single war, beschlich mich das Gefühl, dass es vielleicht doch mehr mit mir zu tun haben könnte, als mir lieb ist.
Und als sich dann wieder ein Mann nach nur zwei Monaten von mir getrennt hat, war mir klar: Entweder, ich schau jetzt ganz genau hin und drehe IN MIR, was immer da zu drehen ist – oder ich kann das Thema Männer auch abhaken. Also hab ich hingeschaut – und wir wurden ja auch wieder ein Paar und sind heute auch verheiratet.
FS: Es ist löblich und wichtig, sich selbst stets zu reflektieren: Aber es scheint, als ob Sie sich auch zielsicher vielfach die falschen Männer ausgesucht haben. Wie sehen Sie das heute?
JS: Es gibt keine falschen Männer. Wir alle suchen immer zielsicher die genau richtigen Männer aus – die, die zu 100 Prozent zu unseren (unbewussten) Glaubenssätzen und Programmierungen passen. Ein Partner ist nur ein Spiegel: Ich sehe in diesem Spiegel, was meinen tiefsten Überzeugungen entspricht. Eine Frau, die – gerne auch mal gut versteckt hinter einem tollen Job, schicken Klamotten und einem bunten Freundeskreis – in der Tiefe glaubt, nicht liebenswert zu sein, zieht einen Partner an, der sie genauso behandelt. Eine Frau, die unsicher und unfrei ist und als Hauptthema hat, was andere von ihr denken, zieht einen Mann, der sich nicht voll zu ihr bekennt, sondern für den immer andere Dinge wichtiger sind (der Verein, die Ex, die Mutter, der Job).
Einen lieblosen Mann kann nur eine Frau anziehen, die sich selbst immer hinten anstellt. Einen Mann, der das Interesse schnell an ihr verliert, kann nur eine Frau anziehen, die die Bedürfnisse und Erwartungen anderer wichtiger nimmt als ihre eigenen.
FS: Was würden Sie Frauen raten, die immer wieder auf Männer reinfallen, die ihnen nicht guttun?
JS: Ahhhh, ganz ehrlich? Dieses „Ich Arme, jetzt bin ich wieder reingefallen…“- Gejammer geht macht mich echt sauer! Ich hing da selbst auch ewig drin, und es ist einfach der Holzweg. Wann fangen wir Frauen wieder damit an, unsere eigene Gestaltungsmacht anzuerkennen? Wir sind keine Opfer! „Reinfallen“ würde bedeuten, dass die Frau das unschuldige Opfer ist und der Mann der Böse, der ihr nicht guttut. Die Verneinung des eigenen (Täter)Anteils ist hierbei das eigentliche Problem, denn ganz egal, in welcher Situation wir uns befinden: Sie ist immer das Ergebnis unserer bisherigen Handlungen – oder Unterlassungen, Entscheidungen, Gedanken. Hier ist Eigenverantwortung gefragt: Wenn eine Frau anerkennt, was IHR Anteil an ihrer Situation ist und dafür die volle Verantwortung übernimmt, dann hat sie alle Macht in den Händen, ihren Beziehungserfahrungen einen neuen Verlauf zu geben.
FS: Sie sprechen davon, dass schlechte Beziehungen oft was mit mangelnder Selbstliebe zu tun haben. Wie ist das genau zu verstehen?
JS: Selbstliebe wird so oft missverstanden. Es geht ja nicht darum, sich hin und wieder mal was zu gönnen oder ein bisschen Wellness zu machen. Selbstliebe umfasst ganz andere Fragen: Wie integer bin ich eigentlich mit mir? Wie denke ich über mich? Vertraue ich mir und meiner Intuition? Wie verantwortungsvoll bin ich um Umgang mit mir selbst? Wie ehrlich bin ich mit mir?
Eine Frau, die da wirklich gut aufgestellt ist, „fällt“ auf überhaupt niemand mehr herein! Die schaut in den Spiegel und kann sagen: Shit, was zeigt sich denn da? Welcher Schatten darf denn da integriert werden? Und zum Glück werden das ja auch immer mehr! Das heißt, es besteht Hoffnung, dass die nächste Generation schon von uns was ganz anderes über Liebe, Selbstliebe, die eigenen Möglichkeiten und den eigenen Wert lernt! Diese Opfer-Nummer ist ja eh auch nur ein erlerntes Programm. Die gute Nachricht: Alles, was erlernt ist, lässt sich auch wieder entlernen.
FS: Sie sagen, dass jeder Mensch beziehungsfähig ist – warum liegt der Glücksschlüssel in uns selbst? Zu einer Partnerschaft gehören aber ja immer zwei Personen … Was ist also das Geheimnis?
JS: „Es gehören immer zwei dazu“ ist Bullshit – sorry, ich muss das so deutlich sagen! Das hat mit dem Gesetz der Resonanz zu tun: Du bekommst, was du ausstrahlst. Partnerschaft ist ein Spiegel, nicht mehr und nicht weniger. Wenn dir nicht gefällt, was du siehst, wieviel Sinn macht es dann, den Spiegel abzuhängen? Oder wenn du da eine fette Platzwunde siehst – kämst du auf die Idee, an deinem Spiegelbild herumzudoktern und das zum Arzt zu schicken?VOR der Partnerschaft mit einem anderen Menschen steht die eigene Partnerschaft mit sich selbst. Für die braucht niemand eine zweite Person. In unserer Gesellschaft ist es allerdings üblich, in diese Partnerschaft, in dieses Mit-sich-im-Einklang-Sein schon ganz früh einzugreifen. Von Kindesbeinen an lernen wir, dass andere besser Bescheid wissen… wann wir schlafen sollen… wem wir ein Küsschen geben sollen… ob wir jetzt gerade wütend sein dürfen… ob wir brav, schlau, still, fleißig oder einfach gut genug sind… und in unseren Partnerschaften zeigt sich einfach nur genau das, was IN UNS wirklich Phase ist. Wenn wir mit uns integer, wertschätzend, ehrlich und verbindlich sind, erleben wir in einer Partnerschaft genau das.

FS: Menschen wollen sich nicht mehr festlegen – auch was Beziehungen anbelangt, es könnte ja etwas “Besseres“ kommen. Steuert man dadurch nicht automatisch immer in eine aussichtslose Sache oder wie löst man das Problem unserer Zeit?
JS: Was ist das denn für ein komischer Glaubenssatz? Also ich hab den nicht! Wer den glaubt, wird den natürlich auch immer wieder bestätigt bekommen. Wer was anderes erleben will, darf sich zuallererst fragen: „WILL ich diesen Satz wirklich glauben? Will ich das als meine Realität annehmen? Oder erlaube ich mir, auch was anderes zu glauben?“ Gedanken kreieren Realitäten, das ist wichtig zu verstehen. Was ich heute denke oder als wahr annehme, ist meine morgige Realität. Darum wäre eine Lösung, bewusst zu wählen, was ich so denke, über mich, über Menschen, über die Liebe, über Männer.
FS: Was macht uns Ihrer Meinung nach eigentlich für einen anderen Partner WIRKLICH attraktiv?
JS: Das kommt jetzt auf den Hintergrund ihrer Frage an. Evolutionsbiologisch ist das relativ easy: Für eine Frau ist Status attraktiv – für deinen Mann tatsächliche Attraktivität, also bestmögliche Gene.
Vor dem Hintergrund einer Liebesbeziehung (was ja ein noch ganz neues Konzept des menschlichen Zusammenlebens ist) gibt es da noch viel mehr zu entdecken als heute gelebt wird. Die Anziehung selbst ist ja nicht das Problem – die Herausforderung, an der viele scheitern, ist doch das vermeintliche „Nachlassen“ der Attraktivität. Der Moment, wenn der andere eben doch nicht den eigenen Vorstellungen entspricht und wir plötzlich mit unseren eigenen Schatten konfrontiert sind. Oder wenn sich einer so lange hintangestellt hat, dass er nur noch eine blasse Schablone seiner selbst ist und nur noch funktioniert.
Ich persönlich finde, es gibt nichts Attraktiveres als einen Menschen, der mit sich selbst entspannt, wertschätzend und liebevoll umgeht.
FS: Sie haben Ihren Ex-Freund geheiratet – haben Sie nur Ihr eigenes Verhalten durchleuchtet oder haben Sie auch ihm den Kopf gewaschen? Den Kontakt einfach abzubrechen ist ja auch nicht die feine englische Art gewesen … Was schweißt Sie als Paar heute zusammen?
JS: Früher war ich so unterwegs, da war ich weit vorne dabei mit „So geht das aber nicht!“ und Bewertungen dieser Art. Nur hat das halt mit Liebe und Partnerschaft auf Augenhöhe nix zu tun.
Er ist mein Spiegel – was sollte ich ihm da den Kopf waschen? Er ist die beste Übungsmatte, die ich haben kann. Er hält mir gnadenlos den Spiegel vor, im „Guten, wie im Schlechten“ quasi und ich bin jeden Tag neu eingeladen, mich selbst tiefer zu entdecken, mein Herz weiter aufzumachen, wahrhaftiger zu sein, größer, mutiger, zarter, alles. Natürlich gibt es Momente wo ich denke, ohne ihn könnte alles besser, anders, leichter sein ... Und jedes Mal, wenn ich da durchgehe, wird es noch tiefer, näher, echter.
Ich bin nicht mal mehr im Ansatz die Frau, die ich damals war. Ich bin mehr über mich hinausgewachsen als ich es mir je hätte träumen lassen. Ich bin so viel selbstsicherer und intuitiver, mutiger und ehrlicher als damals. Ich bin gelassener und habe aber auch so viel mehr Liebe und Wertschätzung in meinem Leben! Dafür konnte ich nicht die bleiben, die ich war. Er ist auch nicht mehr der, der er damals war, aber keinen seiner Veränderungsschritte habe ich eingefordert. Die kamen, als ICH mich verändert habe. Ich bin gewachsen und er ist mitgewachsen.
FS: „Das Ende als Anfang!“ ist das Thema unseres zweiten FÜR SIE College powered by SOCIAL MOMS am 4. November 2020. Warum ist es Ihnen so wichtig, als Speakerin dabei zu sein und zu Frauen zu sprechen?
JS: Weil wir SO viel mehr Liebe in der Welt haben könnten, wenn Frauen anerkennen würden, dass wirklich sie selbst – und NUR sie selbst – der Schlüssel dafür sind. Und weil ich mir wünsche, dass Frauen ihre erlernten bzw. anerzogenen Opferhaltungen aufgeben. Wir Frauen sind so machtvolle, starke und großartige Wesen – wir können unser Leben und unsere Beziehungserfahrungen aktiv und bewusst zu gestalten! Und weil ich mir wünsche, dass viele viele Kinder von ihren Müttern lernen, wie Nähe und Liebe auf gesunde Art gelingt.
Tanja Seiffert: Vielen Dank für das Interview!