Problem: Trennung

Problem: Trennung

Wenn uns etwas zu sehr belastet, sollten wir einen Schlussstrich ziehen. Doch das ist nicht leicht. Warum es uns oft so schwer fällt, loszulassen – und wie es dennoch gelingt

Streitendes Pärchen © Maksim Toome - Fotolia
Problem: Trennung

Es passierte ganz plötzlich. An einem Samstag im Juni vor fünf Jahren wurde Eva klar: Das ist der Anfang vom Ende. Die Münchnerin war im siebten Monat mit ihrem zweiten Kind schwanger, und weil sie sich schonen musste, hatte sie den Haushalt liegen lassen und sich in der oberen Etage ihres Hauses hingelegt. Da hörte Eva auf einmal von unten die Stimmen ihres Mannes und seiner Mutter. Er schimpfte über das dreckige Geschirr, das nicht geputzte Bad und den Staub auf dem Boden: „Die Eva ist doch nur schwanger, nicht krank!“


Eva stand auf, quälte sich die Treppe runter und stellte den Ehemann, der so oft mies gelaunt war, zur Rede. Beide fingen an, sich zu streiten, böse Worte zischelten durchs Wohnzimmer, da erhob Evas Mann plötzlich die Stimme – und seine rechte Hand. Stille. Er schlug sie nicht. Aber dennoch, sagt Eva heute, an diesem Samstag „ist etwas in mir zerbrochen“.
Sie fühlte, dass der Riss nicht zu kitten war, und trotzdem trennte sie sich nicht, sondern blieb mit ihrem Mann zusammen. Nicht lange, aber immerhin noch ein ganzes Jahr. „Und das, obwohl ich wusste: Eigentlich wird es nie mehr sein, wie es mal war.“
Etwas zu beenden gehört zu den schwierigsten Dingen im Leben. Auch wenn die Dinge auf die Seele drücken wie ein zu enger Schuh auf einen Zeh – wir tun es nicht gern. Wir verharren wie Eva in Beziehungen, in denen wir uns nicht mehr lieben, sondern uns nur noch miteinander arrangieren. Wir halten an Freundschaften fest, in denen wir uns schon lange nichts mehr zu sagen haben. Wir sitzen an Schreibtischen, auf denen Arbeit liegt, die uns unangenehm geworden ist. 20 Prozent der deutschen Arbeitnehmer haben innerlich gekündigt, hat eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Gallup ergeben. Warum tun sie es nicht auch äußerlich? Wieso sagen wir nicht in Situationen, die uns schon lange nicht mehr guttun: „Es reicht!“? Was hält uns davon ab, einen Schlussstrich zu ziehen?
„Nichts ist so verheißungsvoll wie ein neuer Anfang – aber nichts macht uns auch so viel Angst“, sagt die Pädagogin Barbara Berckhan. Sie hat sich intensiv mit dem Thema Veränderung auseinandergesetzt und begleitet als Kommunikationstrainerin auch Menschen bei schwierigen Entscheidungsfindungen.

Ein Schritt ins Unbekannte


Im Unterschied zum Neuen gibt uns das Gewohnte, allein schon weil wir es kennen, etwas Bequemes: Stabilität. „Es ist wie eine Komfortzone, in der wir mit dicken Pantoffeln an den Füßen in einem Lehnstuhl sitzen“, sagt Barbara Berckhan. „Es fällt schwer, aus dieser Zone aufzustehen, die Schuhe anzuziehen, die Haustür zu öffnen und neue Wege zu gehen.“ Denn es wären Schritte ins Unbekannte. Und das könnte herausfordernd, anstrengend – oder sogar noch schlimmer als das Bestehende sein. So finden sich Menschen lieber mit dem vertrauten Unglück ab, als nach dem vielleicht wahren Glück zu suchen.

Eva wusste schon lange,
worauf sie sich bei ihrem Mann eingelassen hatte. Als sie sich in ihn verliebte, erfuhr sie: Er hat Schulden. Und sie merkte schnell, dass er aufbrausend war. „Aber ich spürte, da gab es Hoffnung. Ich hatte immer das Gefühl, dass er ein guter Vater werden würde.“ Doch nachdem ihr erstes Kind auf der Welt war, ging ihr Mann lieber mit Freunden aus. Also kümmerte sich Eva allein um die Tochter, nahm vier Jahre Erziehungszeit und steckte damit auch finanziell zurück. Während ihr Mann voller Wünsche war, gönnte sie sich nichts. Ein Phänomen, das viele Frauen kennen: Die Familie steht im Vordergrund, die eigenen Bedürfnisse werden zurückgeschraubt. Man verdrängt, was einen stört. Und klammert sich an die Zukunft. Auch Eva hielt sich daran fest, dass nach jedem Tief immer wieder ein Hoch kam, sah Licht am Ende des Tunnels. „Ich dachte: Es wird schon alles wieder. Sobald ich wieder arbeiten gehe, bin ich mit meinen Bedürfnissen dran. Und dann würden auch wir zwei es erneut packen.“
Wenn sie heute auf ihre Entscheidung zurückblickt, sich von ihrem Mann zu trennen, sagt sie: „Es war ein schleichender Prozess.“ Tatsächlich ziehen wir oft erst dann einen Schlussstrich, wenn die Situation, in der wir uns befinden, sehr wehtut und uns über geraume Zeit quält. Es muss viel zusammenkommen, um die Ängste, die uns am Aufbruch hindern, zu besiegen. „Obwohl das Beenden zu jeder Lebensgeschichte gehört, wehren sich viele eine lange Zeit dagegen“, sagt Barbara Berckhan. Denn dem Beenden haftet ein Makel an: Wir denken, wir hätten versagt, die falsche Entscheidung getroffen. Wir müssen andere zurücklassen. So ist der Weg zum „Nein“ belegt mit schwierigen Gefühlen: Angst, Trauer und Scham. „Für einen Neuanfang gibt es deshalb oft nur zwei Impulse“, sagt Barbara Berckhan. „Der eine ist die Verlockung, weil wir etwas sehen, das wir unbedingt haben wollen – und der andere ist der Schmerz.“

Ein Leben mit hohem Geschwindigkeitslevel


Wir können einiges kompensieren, schönreden. Doch irgendwann können wir die Unzufriedenheit nicht mehr wegwischen. Und dann endlich schaffen wir es auch, zu handeln. Psychologen sagen, dass der Mensch eine intuitive Trennungskompetenz besitzt. Dass wir spüren, dass unsere eigene Entwicklung blockiert wird und eine Veränderung ansteht. Wann man es sich erlauben darf, eine Sache zu beenden.
Bei Ulrike, 52, aus Rheine, war es vor fünf Jahren so weit. Da setzte sie sich zusammen mit ihrer Familie an einen Tisch und sagte: „Nein.“ Zum Stress, der Belastung und der vielen Zeit, die sie für andere da war. Jahrzehnte lebte Ulrike, wie sie sagt, „ein Leben mit hohem Geschwindigkeitslevel“ und opferte sich für ihre Familie, die Hausarbeit und die Arbeit in einem Immobilienbüro auf. Dann erlitt sie vor sieben Jahren einen leichten Schlaganfall – und machte aber trotzdem so weiter wie bisher. „Ich wollte niemanden enttäuschen, meine Arbeitskollegen nicht und meine Familie ebenso wenig. Ich habe lange gebraucht, um mir einzugestehen, dass ich selbst eigentlich etwas anderes will.“ Nachdem sie merkte, dass ihre Stimmung immer schlechter, ihre Kraft immer weniger wurde und das auch ihre Beziehung belastete, nahm sie sich ein Herz, sprach mit ihrem Mann und ihren Söhnen. Nach vielen Gesprächen entschieden sie sich, in ein kleineres Haus zu ziehen. Außerdem machte Ulrike sich mit einem Immobilienbüro selbstständig, um ihre Zeit besser einteilen zu können. Nun malt sie, trifft sich öfter mit Freundinnen und singt in einem Chor. Sie hat die Prioritäten in ihrem Leben endlich verschoben. „Ich bin froh, dass ich diese Veränderung gewagt habe, obwohl ich Angst vor den Reaktionen meiner Umwelt hatte – und eigentlich war es ganz einfach, Nein zu sagen.“

Der ganz große Knall


Den ganz großen Knall, um das Alte loslassen und etwas Neues beginnen zu können, braucht es also nicht immer. Die Expertin Barbara Berckhan ist davon überzeugt, dass man wie Ulrike auch zu einer Entscheidung kommen kann, wenn man sich bewusst die Zeit nimmt zum Überlegen. Sie rät:
1. Seien Sie ehrlich mit sich selbst. Bekennen Sie sich dazu, dass es etwas gibt, was Sie innerlich nicht mehr wollen.
2. Schreiben Sie eine Negativliste. Notieren Sie jedes Detail, das Sie nervt oder das Sie nicht mehr wollen.
3. Entdecken Sie Ihre Vision. Schreiben Sie zu jedem negativen Detail, was Sie sich wünschen: Wie könnte das Positive aussehen? Wie hätten Sie es gern?
4. Stellen Sie sich die wichtige Frage: Könnten Sie in den alten Verhältnissen das bekommen, was Sie sich wünschen? Gibt es Möglichkeiten, wie Sie das Bestehende verbessern könnten? Wenn ja, dann setzen Sie sich kleine, konkrete Ziele und machen Sie sich daran, Schritt für Schritt Ihre Vorstellungen durchzusetzen. Wenn Sie das Bestehende nicht wesentlich verbessern können, dann könnte es Zeit für einen Wechsel oder einen Ausstieg sein.
5. Handeln Sie nicht überstürzt. Überlegen Sie zuerst, welche Vorteile Sie von einer Veränderung hätten, aber auch, welche Risiken Sie eventuell eingehen.
6. Gehen Sie planvoll an die Sache heran. Sammeln Sie Informationen, um das Risiko abzuschätzen. Befragen Sie zum Beispiel Leute, die das, was Sie vorhaben, schon mal gemacht haben.
7. Denken Sie immer wieder an das, was Sie sich wünschen. Mit einer klaren positiven Vision können Sie sich selbst motivieren, besonders dann, wenn Ihnen der Umbruch Angst macht.

„Wahres Leben bewegt sich
nach vorn in unbekannte Bereiche“, sagt der Psychoanalytiker Wilhelm Reich. Eva und Ulrike sind diesen Schritt gegangen, haben Altes hinter sich gelassen, Neues begonnen – und dadurch auch mehr Erfahrungen gewonnen. „Ab dem Moment, als ich den Entschluss zum definitiven Ende gefasst hatte, spürte ich in mir eine ganz neue Leidenschaft aufkommen, und mir war klar, wie mein zukünftiges Leben aussehen soll“, sagt Eva, die heute 38 Jahre alt ist.
Als sie sich schlussendlich von ihrem Mann trennte, brachte sie bei ihrem Vermieter eine Mietminderung durch, um sich finanziell ein Polster anzulegen, holte ihre Mutter zur Unterstützung ins Haus und meldete sich bei ihrem alten Arbeitgeber. Der stellte sie zwar nicht wieder ein, aber kurze Zeit später hatte die gelernte Industriekauffrau einen Job bei einer Konkurrenzfirma. Sie hatte auch neues Selbstbewusstsein, war wieder mit sich im Reinen, erfüllt und befreit. Angst davor, irgendwann wieder einen Schlussstrich ziehen zu müssen, hat sie nicht. Eva sagt: „Denn heute weiß ich: Es ist immer möglich, einen anderen Weg zu gehen.“

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