
Man kann sich schickere Orte vorstellen, um diesen Mann zu treffen, als den sterilen Konferenzraum eines Kongresshotels. Dafür liegt es in Kanadas Film-Metropole Toronto. 190 Kilometer von hier entfernt ist Ryan Gosling aufgewachsen – und als er eintrifft, sieht er auch so aus, als käme er direkt aus dem elterlichen Wohnzimmer: Jeans, Strickjacke, weißes T-Shirt, das blonde Haar verstrubbelt, eine Kaffeetasse in der Hand. Breitbeinig setzt er sich auf ein Stapel-Stühlchen und lehnt sich zurück, als wäre es ein bequemer Sessel. In seinem neuen Film „The Place Beyond the Pines“ spielt der 32-jährige Hollywood-Star einen wortkargen Stuntman, der auf Jahrmärkten auftritt. Bis er erfährt, dass er einen Sohn hat, und Verantwortung übernehmen will.

Ryan, in Ihrem Kinohit „Drive“ rasten Sie in Autos umher, jetzt fahren Sie Motorrad. Mögen Sie schnelle Filmfiguren?
Kino hat sehr viel mit Bewegung zu tun! Es geht ja um die Bewegung von Gefühlen. Es macht also Sinn, Emotionen metaphorisch auf Motoren zu übertragen. Immer, wenn sich Emotionen aufstauen, entsteht notwendigerweise Bewegung. Da bietet sich die Verbindung zwischen Film und Fahrzeugen doch an.
Hat ein Kerl wie Sie bei halsbrecherischen Stunts auch mal Schiss?
Etwas Angst muss sein. Wenn man die nicht mehr hat, sollte man sofort aufhören, sonst bekommt man Schwierigkeiten. Als Kind habe ich mal einen Unfall mit angesehen. Ich lief hin, der junge Biker lag halb unter dem Auto, sein Kopf war blutig – aber mein erster Gedanke war: „Ich muss auch ein Motorrad haben!“ Irgendwas daran hat mein Gehirn versaut. Motorräder sind wie ein Fluch, der dich nie mehr loslässt.
Wann haben Sie das erste bekommen?
Mit zwölf habe ich Freunde überredet, mir ein Moped zu kaufen. Es stand hinten im Garten, ich habe mich täglich daraufgesetzt und so getan, als würde ich damit fahren. Bislang dachte ich, ich fahre ziemlich gut, bis ich Rick Miller traf. Er ist der beste Biker-Stuntman der Branche, doubelt sogar Batman auf dem Motorrad. Er hat beim neuen Film das gedreht, was ich nie geschafft hätte. Dabei habe ich alles gegeben.
Die andere Herausforderung für Sie war ja, am Set mit einem Filmsohn klarzukommen. Mit Babys zu drehen ist bekanntlich kein Kinderspiel …
Mein Filmsohn hieß im echten Leben Tony Pizza. Genauer gesagt Anthony Pizza jr. Wirklich wahr! Es wäre schwer, ein Kind nicht zu mögen, das so heißt (lacht). Wir zwei haben uns auf Anhieb gut verstanden.
Um den Sohn zu versorgen, werden Sie im Film zum Bankräuber. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Geld?
Ich habe mir früher oft vorgestellt, wie es wäre, eine Bank zu überfallen. Aber ich habe zu große Angst vorm Gefängnis. Wenn ich es getan hätte, dann sicher auf einem Motorrad, weil man so am schnellsten ist. Das gestand ich mal einem Freund, dem Regisseur Derek Cianfrance. Der guckte mich verdattert an und sagte: „Echt irre – davon handelt mein nächstes Drehbuch!“ Schon war ich dabei …
Aber warum haben Sie denn von Banküberfällen geträumt?
Na ja, das ist schon reizvoll, weil dort immer Geld liegt. Und wenn man die Leute nett darum bittet, geben sie es dir auch.
Eltern und Kinder – das Thema scheint Sie zu faszinieren. Wie sind Sie selbst aufgewachsen?
In einer Familie von Charakterköpfen – echte Typen. Wenn die alle in einem Film aufgetaucht wären, würde man sagen: „Völlig überzogen!“ Mein Zuhause war etwa so wie eine Langzeit-Castingshow. Es gab Drama, Komödien und Thriller – aber all das gleichzeitig.
Also ein ideales Biotop, um sich zum Schauspieler zu entwickeln …
Beim Drehen habe ich oft das Gefühl, ich würde noch mal in diese Atmosphäre zu Hause ein tauchen, in diese für mich sehr prägende Zeit. Sie wieder erleben, hinterfragen und manches auch klären. Heute kann ich es aus einer sichereren Position heraus betrachten als damals als kleiner Junge.
Über den Titel „Sexiest Man Alive“
Auch Ihre Figuren sind oft herausstechend und extrem – Außenseiter und Querköpfe.
Das kommt daher, dass ich nicht besonders gut aussehe.
Wie bitte?
Ich weiß, dass ich ziemlich seltsam aussehe. Bis zu „Wie ein einziger Tag“ im Jahr 2004 gab ich dauernd den schrägen Typen, den Freak, den Psychopathen. Ich habe Neonazis, schwule Football-Spieler und einen Haufen seltsamer Vögel gespielt. Der Rest ist die Magie des Films: Sobald man die romantische Hauptrolle spielt, strömt das einen Zauber aus. Das Publikum glaubt dir. Auch, wenn es gar nicht wahr ist.
Sorry, aber Sie könnten stundenlang Chemieformeln deklamieren und wären noch immer verdammt sexy …
Bestimmt nicht (lacht). Dazu äußere ich mich nicht. Will sagen: Ich lasse mich gar nicht auf solche Gedanken ein. Es ist, wie es ist.
So kommen Sie uns nicht davon. Wie reagieren Sie denn auf Komplimente von „Sexiest Man Alive“ bis hin zu Emma Stones Bekenntnis, bis zum Dreh von „Crazy, Stupid, Love“ dachte sie, Sie verdanken Ihren knackigen Oberkörper nur Photoshop?
Wenn man erst mal anfängt, auf Lob, Komplimente oder Schmeicheleien zu hören, glaubt man auch alles Negative. Und gibt auf, wenn diese Leute nicht mehr an dich glauben. Dabei glaubt am Anfang deiner Karriere kaum jemand an dich! Ich habe gelernt, nicht von der Meinung der anderen abhängig zu sein und nicht auf sie zu hören. Sonst ist man irgendwann zu ängstlich, um auch mal was Außerordentliches zu wagen. Ich fahre besser damit, für die Meinung der anderen taub zu sein.
Steckbrief
Geboren: am 12. November 1980 in London in der kanadischen Provinz Ontario.
Karriere: Als Zwölfjähriger zog er mit seiner Familie nach Florida, um für den „Mickey Mouse Club“ vor der Kamera zu stehen. Der Schauspielerei blieb er treu: 2006 gelang ihm mit „Half Nelson“ der internationale Durchbruch. Für die Darstellung eines drogensüchtigen Lehrers bekam er eine Oscar-Nominierung und zahlreiche Preise. Später spielte er in „Blue Valentine“, „Crazy, Stupid, Love“, „Drive“ und „The Ides of March – Tage des Verrats“. Eine eigene Band hat er inzwischen auch: 2008 gründete er gemeinsam mit Schauspielkollege Zach Shields die Band Dead Man’s Bones.
Privates: Seine Freundinnen lernte Ryan Gosling meist bei Dreharbeiten kennen. Derzeit ist er mit Kollegin Eva Mendes liiert, die in „The Place Beyond the Pines“ die Mutter seines Sohnes spielt.
