
Kürzlich wurde meine Nichte 13 und feierte ihre erste Party, zu der sie haufenweise Freundinnen und ein paar Jungs einlud. Erstaunlicherweise durfte auch Familie kommen, allerdings nur in homöopathischer Dosis: Reingelassen wurden nur all jene, die in den Augen meiner Nichte halbwegs cool rüberkommen. Der Partyraum wirkte wie eine in Glitzerfolie gepackte Puppenstube, und während sich die Jungs in die Ecken verdrückten, stellten sich die Mädchen in einer Reihe auf und übten gute zwei Stunden lang, zu Miley Cyrus’ „Can’t Be Tamed“ auf Mörder-Heels wie Gisele Bündchen zu laufen. Die Mädchen trugen raffiniert unauffällige Push-up-Bras, und schon bald erfuhr ich, dass fast alle Top-Model werden wollten, zur Not auch Top-Managerin. „Hauptsache schön, reich, berühmt und was zu sagen haben“, kicherten sie. Und während ich die so selbstverständlich von sich überzeugten Mädchen betrachtete, dachte ich an meinen eigenen 13. Geburtstag zurück.
Damals, 1977, beschwor ich meine Eltern, das Feld zu räumen, und legte das Haus mit Matratzen aus. 48 Freunde ließen sich darauf nieder, wir tranken Apfelkorn auf Ex und fühlten uns rebellisch, wild und frei. Stark, so dachte ich damals, kann man als Frau nur sein, wenn man seine „innere Tussi“ in die hinterste Ecke verbannt, und deshalb fand ich Models, Mädchengekicher und BHs superblöd. Letzteres hatte ich mir bei meiner Mutter abgeschaut. Als die neuen Feministinnen Anfang der 70er forderten: „Frauen, verbrennt eure BHs! Sie engen euch ein und sind Symbol eurer Unfreiheit!“, warf meine Mutter ihre starren Brustpanzer mit all diesen furchtbaren Haken und Ösen in den Müll. Seitdem guckte sie viel entspannter. Was mir die Frauenbewegung gleich ungemein sympathisch machte.
Damals verkehrten meine Eltern in Künstlerkreisen; man war gegen den Vietnamkrieg, gegen Autoritäten, gegen den Muff von tausend Jahren, doch schon als Kind spürte ich, dass da irgendwas gewaltig schieflief. Alle sprachen von Aufbruch, Freiheit, Gleichheit, doch in Wahrheit hatten die Männer weiterhin das Sagen, und die Frauen gaben klein bei. Meine Mutter war tief in ihrem Innern eine Löwin, lebte aber viele Jahre das Leben einer gezähmten Hauskatze. Ich dagegen war so wild, wie sie gern gewesen wäre; Mädchen sein bedeutete für mich Kampf gegen den Platz, den man meiner Mutter und mir zuweisen wollte, und es macht mich glücklich, wenn ich heute meine Nichten betrachte. Sie müssen nicht mehr so viel kämpfen, sondern freuen sich ganz offensichtlich darauf, Frauen zu werden. Sie mögen ihre sanfte und ihre starke Seite, denn sie erleben, dass auch Jungs sanfte und starke Seiten haben. Gelassen vertrauen sie ihrer Kraft und sind fest davon überzeugt, dass sie alles erreichen können, was sie wollen.
Keine Gleichberechtigung bis 1977
Eine fast unglaubliche Entwicklung, wenn man ein paar Jahre zurückschaut: Trotz der im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung dauerte es bis 1977, dass das Leitbild der „Hausfrauenehe“ im Gesetzbuch ausgedient hatte. Bis dahin wurde einer verheirateten Frau eine Berufstätigkeit nur zugestanden, wenn ihre Pflichten in Haushalt und Familie nicht darunter litten. Geradezu absurd klingt das in unseren Ohren, denn heute können wir leben, lieben und arbeiten, wie es uns gefällt. Zweifellos ist 2011 dabei ein besonderes Jahr, nicht nur wegen der Debatten, die wir um die Frauenquote führen, sondern auch, weil die Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts zwei runde Geburtstage feiert: Der Internationale Frauentag wird 100; damals kämpften Frauen für das Wahlrecht, das 1918 endlich gesetzlich verankert wurde.
Und vor 40 Jahren, am 6. Juni 1971, erschien der „Stern“ mit der Titelgeschichte „Wir haben abgetrieben!“, die Frauen aus allen Schichten in Bewegung brachte. An den Tag erinnere ich mich bis heute, und das, obwohl ich damals erst sieben war. Als Kind spürte ich, dass etwas Unerhörtes passiert war. Auf unserem Wohnzimmertisch lag der „Stern“, und meine Eltern schlichen um diese Bombe herum, die zwar nicht sofort hochging, sich aber auch nicht mehr entschärfen ließ – weder in ihrer Ehe noch im ganzen Land. Flüsternd debattierten sie über Romy Schneider, Senta Berger und all die anderen 372 Frauen, die öffentlich erklärten, abgetrieben zu haben, und die Streichung des § 218 forderten.
Der Slogan „Mein Bauch gehört mir“ arbeitete in meiner Mutter. Sie, die talentierte Malerin und Bildhauerin, die früh geheiratet hatte, drei Kinder bekam und Hausfrau wurde, fand zwar erst viel später zu ihrer Kunst zurück, doch damals wurde das Feuer für ihren Neuanfang gelegt. Heute lebt meine Mutter so, wie sie sich das schon immer gewünscht hat. Hartnäckig erkämpfte sie sich ihren Freiraum, emanzipierte meinen Vater gleich mit und profitierte dabei immens von den Fernsehauftritten einer Alice Schwarzer oder den Büchern einer Margarete Mitscherlich.
Meine Großmutter dagegen war ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus. Sie wurde am 8. März 1911 geboren, also haargenau am ersten Internationalen Frauentag, was perfekt passt. Sie war lustig, dick, unerschrocken, und es kümmerte sie wenig, wenn die Leute sie hinter vorgehaltener Tuschelhand als Rabenmutter bezeichneten, denn sie ging in ihrer Arbeit auf und war nur dort wirklich glücklich. Tagein, tagaus verbrachte sie im elter lichen Betrieb für Feinkost, kämpfte sich hoch bis zur Leitung, brachte nebenbei fünf Kinder zur Welt, hielt es aber keine Woche ohne die Firma aus. Oft sehe ich sie vor mir, wie sie noch kurz vor ihrem Tod im Bett saß und die „Zeit“ vor sich ausbreitete. „Zeit“-Begründerin Marion Gräfin Dönhoff war ihr Idol, wohl auch deshalb, weil diese ohne Mann und Kinder lebte, während sich meine Großmutter zeitlebens nicht aus ihrer unglücklichen Ehe zu lösen vermochte.
„Sieh zu, dass du immer dein eigenes Geld verdienst und dich nie von irgendwem abhängig machst“, gaben mir meine Großmutter und meine Mutter mit auf den Weg, und ich habe mich bis heute daran gehalten. Früh entschied ich mich so gegen eigene Kinder. Seit vielen Jahren habe ich trotzdem einen Sohn: Mein Lebensgefährte brachte ihn mit in unsere Beziehung, und wir kümmern uns beide um ihn. Was großen Spaß macht. Ebenso viel Spaß machte es mir aber, mich nach außen zu orientieren und mitzuerleben, wie sich unsere Gesellschaft wandelt. Nach und nach gab es in allen Bereichen immer mehr tolle, erfolgreiche Frauen, die Bücher schrieben, Politik machten, Medaillen gewannen und für mich zu wichtigen Vorbildern wurden.
Wenig Weiblichkeit in den Vorständen
Wenig Weiblichkeit in den Vorständen
1918: Das Frauenwahlrecht wird im deutschen Wahlgesetz verankert.
1958: Das Gleichberechtigungsgesetz tritt in Kraft. Es streicht das Letztentscheidungsrecht des Mannes über alle ehelichen Fragen, schränkt die väterliche Vorherrschaft in der Erziehung ein.
1968: Startschuss für die Frauenbewegung: Auf einer Konferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) bewerfen Aktivistinnen den SDS-Vorstand mit Tomaten. Vor wurf: Er würde die Ausbeutung der Frauen im häuslichen Bereich ignorieren.
1971: „Wir haben abgetrieben!“, bekennen 374 Frauen im „Stern“. Ziel der Aktion: Streichung des Paragrafen 218.
1977: Reform des Ehe- und Scheidungsrechts: Das Leitbild der Hausfrauenehe wird offiziell aufgehoben.
1995: Abtreibung bleibt jetzt, nach obligatorischer Beratung der Frau, bis zur 12. Woche straffrei.
1997: Vergewaltigung in der Ehe wird unter Strafe gestellt.
2005: Angela Merkel wird zur ersten Bundeskanzlerin des Landes gewählt.
2007: Das Elterngeld wird eingeführt.
2011: Quoten-Debatte: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen fordert einen gesetzlich verordneten Frauenanteil von 30 Prozent für Vorstände und Aufsichtsräte, wird aber von Angela Merkel zurückgepfiffen. Ende offen.
Tatsächlich kenne ich einige Frauen, die sich genau in dem Moment gut verdienende Männer gesucht und Kin der gekriegt haben, als ihnen der Wind im Büro ein wenig zu kühl um die Nase wehte. Aber ich kenne noch mehr andere, die eisern an ihrer Karriere arbeiten oder sich im Spagat zwischen Job und Familie fast zerreißen. Eine Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte würde die Arbeitswelt ganz sicher modernisieren. Und das ist gut so, denn unser Land kann es sich nicht leisten, auf so viele hervorragend ausgebildete Frauen zu verzichten.
Bald sind meine Nichte und ihre Freundinnen so weit, denke ich, während ich noch immer auf ihrer Party rumtanze. Sie werden Ärztin sein oder Ingenieurin, Herausforderungen meistern und dabei den Weg ihrer Großmütter und Mütter fortsetzen. In Riesenschritten, versteht sich, denn wir leben in ra san ten Zeiten. Und ich bin unglaublich gespannt, wie das alles so weitergehen wird.
