Jane Birkin: Das letzte Interview vor ihrem Tod

Der Vatikan verbot ihr Lied „Je t’aime“, Hermès entwarf für sie eine Handtasche. Unsere Redakteurin Claudia Pallavicini sprach mit Jane Birkin über ihr aufregendes Leben. Es ist das letzte Interview mit der französischen Stilikone - am 16. Juli 2023 ist Jane Birkin mit 76 Jahren verstorben.

Jane Birkin im Interview

Warum ihr die Tasche nicht wichtig ist, sie sich nicht als Stilikone sieht und worauf sie stattdessen stolz ist

Das Leben von Jane Birkin, 76, liest sich wie ein Drehbuch: die Britin spielte im Kultfilm „Blow up“, kreierte die legendäre Birkin-Bag bei einem Zufallstreffen im Flieger mit dem Hermès-Chef auf einer Spucktüte und wurde mit ihrem Partner Serge Gainsbourg zum skandalösen It-Couple der 70er. Doch, Überraschung: im Pariser Hotel „Le Bristol“ wartet eine völlig unprätentiöse Frau, die mit dem Begriff Stilikone wenig anfangen kann. Es ist das letzte Interview für die Zeitschrift FÜR SIE, bevor die Stilikone am 16. Juli 2023 mit 76 Jahren verstirbt.

Im Video: Jane Birkin stirbt mit 76 Jahren

FS: Können Sie eigentlich glauben, was für ein reiches und verrücktes Leben Sie bisher hatten? 

Jane Birkin:

Um ehrlich zu sein waren die Filme nicht von Interesse und die Tasche interessiert mich nicht. Wer möchte auf eine Tasche reduziert werden? In „Blow Up“ war ich für eine Sekunde zu sehen – das ist nichts im Vergleich zur Karriere meiner Tochter Charlotte (Gainsbourg, Anm. d. Red.), einer Schauspielerin mit Kaliber.

Aber Sie spielten mit echten Film-Legenden wie etwa Michel Piccoli…

Stimmt, in Jacques Doillons Film „Ein kleines Luder“ war ich ziemlich gut. Bis dahin vielleicht nicht so. Und in „La Pirate“ war ich auch gut – dank Jacques, der ein sehr guter Regisseur war. Serges Film „Je t`aime moi non plus“ war außergewöhnlich, aber ich habe so viele mittelmäßige Filme gemacht, in denen ich nur ein sexy Stück Rock war, viele peinliche, dumme Filme, auf die ich nun wirklich nicht stolz sein kann. Ein paar Agatha Christie-Filme waren lustig, aber sie sind eben nicht auf dem gleichen Level wie Charlottes Filme.

Worauf sind Sie denn stolz?

Auf meine neue Platte mit Etienne Daho. Ich bin stolz, dass die englische Musikzeitschrift Mojo sie zum besten Album gewertet hat. Dass man meine Songs verstanden hat. Das hat mir geschmeichelt, denn die Engländer sagen gewöhnlich nichts Nettes über mich. Die kennen mich nicht, ich bin ja schon vor 50 Jahren nach Frankreich gegangen. Also war es außerordentlich, eine gute Bewertung zu bekommen. Das hat mich sehr berührt.

Denn Sie hatten die Texte selbst geschrieben.

So ist es.

„Meine Kinder haben bessere Ratschläge, als ich sie geben könnte“

Gibt es einen Rat, den Sie Ihrem jungen Ich heute geben würden?

Nicht wirklich. Ich frage meine Kinder um Rat, denn gewöhnlich haben sie bessere Ratschläge, als ich sie geben könnte.

Warum?

Weil sie sehr weise sind, besonders Lou.

Aber sie muss es ja von jemandem haben.

Vielleicht von ihrem Vater, sicher nicht von mir!

Sie halten nicht sehr viel von sich?

Als weise Person? Non.

Haben Sie einen engen Kontakt zu Ihren Kindern?

Zu Lou ja, nicht so sehr zu Charlotte.

Warum?

Weil Charlotte ihr ganz eigenes privates Leben hat mit ihrem Mann und den drei Kindern. Sie bleiben sehr für sich. Ich sehe sie manchmal, sonntags. Aber mit Lou ist es einfacher, besonders weil sie jetzt ein Baby hat. Sie kommt oft vorbei und bringt das Baby mit.

Einige Ihrer Songs handeln von Selbstzweifeln, Unsicherheit und Eifersucht. Wann haben Sie sich davon befreit?

Ich glaube nicht, dass sich da viel geändert hat. Warum aber meine Kinder keine Selbstzweifel haben – ich weiß es nicht. Ich glaube, ich war gut darin, sie zu bestärken im Bewusstsein, dass ihnen alles offen steht. Ich wußte, dass Charlotte jede Rolle, die sie wollte, spielen konnte. Und dass sie dies mit außergewöhnlichem Talent tun würde, das sie schon als Kind hatte. Sie hat so viele Preise gewonnen, schon mit 12 wurde sie als beste Schauspiel-Newcomerin gewählt. Sie ist jemand, den die Menschen respektieren. Sie ist vielleicht eine der größten Schauspielerinnen ihrer Zeit. Als ich die ersten Song-Texte meiner Tochter Lou hörte, hab ich Etienne Daho angesprochen, mit dem ich schon gearbeitet hatte. Denn ich wußte, dass er sie groß rausbringen würde. Ich hörte ihren Song „I.C.U.“ und wusste, wie gut er war. Dabei hatte ich bis dahin keine Ahnung gehabt, dass sie überhaupt Songs schrieb. Das war eine totale Überraschung.

Sie haben früher nur die Lieder Ihres Partners Serge Gainsbourg gesungen. War es schwer, die eines anderen oder ihre eigenen zu singen?

Nein, nein, überhaupt nicht! Denn Serge hatte die Lieder so geschrieben, als wären sie für ihn. Aber er gab mir seine fragile Seite, so dass die Leute dachten, das sei ich. Es war seine feminine und verletzte Seite. Auf die Art bekam ich die allerschönsten Lieder.

Nein, ich mag es, z.B. auch etwas von Beth Gibbons zu singen, es ist eine große Freiheit. Nun dieses letzte Album mit Etienne Daho, der die Texte meines 20 Jahre alten Theaterstücks „Oh! Pardon tu dormais“ so mochte, die sehr, sehr persönlich waren. Es war magisch, mit ihm zu arbeiten, und er war so großzügig. Immerhin hat er mir zwei Jahre seines Lebens gegeben. Ein Jahr, um dieses Album zu schreiben und dann ein Jahr, um die Show auf die Beine zu stellen. Und dabei brachte er selbst gerade seine Platte raus. Er war wundervoll, er gab so viel. Und darum bin ich ewig dankbar, denn du brauchst jemanden, der an dich glaubt. Du brauchst jemanden, der das hervorbringt, das in dir ist, aber was du nicht gewagt hättest, auszudrücken. Aber er tat es, wie jemand, der dir hilft ein Baby zu bekommen.

Wie damals Serge Gainsbourg?

Das war ganz sicher so. Ich war ja mit John Barry zusammen, ebenfalls ein Komponist (z.B. der „James Bond“ Titelmelodie, Anm. d. Red). Aber da waren keine Überraschungen, nicht ein Song wäre etwas für mich gewesen. Er fand nichts an meiner Stimme oder meiner Art, zu singen. Doch Serge schon, ich sang ja sehr hoch, und in „Je t`aime…moi non plus“ sang ich noch eine Oktave höher als bei der Version, die er für Brigitte Bardot geschrieben hatte, so wie ein Chorknabe. Das war für ihn erotisch, genau sein Ding.

Sie sagten einmal über Gainsbourg, er sei schöner sei als Alain Delon...

Nun, ich mochte seine Hakennase. Ich mag auch Franz Kafka leiden, in den hätte ich mich auch verliebt!

Sie mögen also Charakterköpfe?

Ja, Serge war ein Charakterkopf, ein Melancholiker und gleichzeitig ein Clown. Er war lustig und sehr erotisch. Alain Delon war wunderschön. Aber Serge hatte Charme! Und Humor zählt auch. Serge war der lustigste Mann, den ich je gekannt habe! Jetzt Weihnachten haben wir alle 12 zusammen in einem Chalet gefeiert, das war göttlich. Charlottes und Lous Mann haben angefangen, Witze zu erzählen. Und dann haben Charlotte und ich versucht, uns an Serges Witze zu erinnern. Denn wenn er einen neuen Witz kannte, trug er ihn auf einem Zettel in der Hosentasche herum und konnte es nicht erwarten, ihn dir zu erzählen. So jemand ist einfach eine herrliche Gesellschaft.

„Ich habe wirklich keinen Stil, ich trage alles, was bequem ist“

Sie mögen den Begriff nicht, doch Sie sind eine Stilikone. Wann wurde es Ihnen bewusst?

Meine Tochter Lou sagte, ich sei überall im Internet. Sie bestärkte mich, eine Kollektion mit A.P.C. zu entwerfen. Alles war sofort ausverkauft! Ich hatte ein sehr schönes Kopftuch gezeichnet und war wirklich verärgert, denn es war nicht mehr zu haben. Und sie produzieren nicht nach. Ich sagte ihnen, sie müssen doch welche nachproduzieren, denn jeder will es – und ich auch!

All die Zeit, die ich damit verbracht habe, mir Hosen auszudenken, die gut für Frauen um die 60 sind. Die Jerseys, die ich immer wollte, mit dem weiten Halsausschnitt und alles ein bisschen zu groß und aus herrlichem Kaschmir, wenn man es sich denn leisten kann. Ich hab alles reingegeben. Nun muss ich wieder ein Modehaus finden, das jemanden will, der etwas für sie zeichnet, ich würde das liebend gern noch einmal tun.

Doch ich habe wirklich keinen Stil, ich trage alles, was bequem ist.

Aber genau das ist Ihr Stil. Sie waren die Erste, die den Boyfriend-Look trug. Hatten Sie denn selbst eine Modeikone?

Nein, aber ich finde, dass Audrey Hepburn die Allerschönste ist. Alles, was sie trug, die schwarzen Pullis, die Schuhe, alles gefällt mir. Ich wollte definitiv nicht wie meine Mutter aussehen! Dabei war sie sehr modisch und hat ihr Outfit dreimal am Tag gewechselt. Und sie sagte immer: Bitte Jane, streng dich doch an! Doch ich sagte, nein, was ich definitiv nicht will, ist mich bemühen.

Das war Ihre Rebellion.

Ja. Sie dachte wohl, es sei anderen Leuten gegenüber nicht höflich, sich nicht umzuziehen, es war diese Generation. Aber ich habe es geliebt, etwas für sie zu kaufen, denn sie freute sich immer so. Uns Kindern kaufte sie schwarze Pullis, die damals selten waren. Aber wir wollten ihre Mode nicht. Nun finde ich es komisch, dass die Leute die Mode der 60er mögen.

Welchen Luxus gönnen Sie sich?

Meine Bulldogge Bella. Es ist ein großer Luxus, mit ihr Gassi zu gehen und sie zu verwöhnen. Und ich liebe es, andere zu beschenken – so sehr, dass es fast verdächtig ist. Vielleicht verteile ich Geschenke, damit die Leute mich mögen, habe ich mich gefragt? Ich bin so unsicher über meinen schrecklichen Charakter, dass ich selbst meine guten Absichten anzweifle.

Wie stehen Sie dazu, dass Ihre Tochter Charlotte Serge Gainsbourgs Haus in ein Museum umwandelt?

Ich finde es merkwürdig, dass Leute in meinem Schlafzimmer herumlaufen. Aber zugleich bin ich sehr stolz. Ich habe es dort nicht so lange ausgehalten, vielleicht 15 Jahre. Die Kinder waren noch klein. Wenn ich das Haus sehe, denke ich an die Kinder. Dass sie zur Toilette rennen mussten, weil sie Angst vor dem Mann mit dem Kohlkopf (eine Statue im ganz in Schwarz eingerichteten Wohnzimmer, Anm. d. Red.) hatten. Ich denke dabei nicht an mich, denn für mich war es fast wie ein Gefängnis. Ich wollte dem so entkommen. Einst wollte ich ein Apartment im Haus gegenüber mieten und sogar eine Brücke oder einen Tunnel dorthin bauen lassen. Charlotte hat gerade die Pläne dazu wiedergefunden. Ich wollte, dass auch die Kinder ein eigenes Zimmer hatten, wir mussten ja für sie ein Zimmer im Nebenhaus mieten. Man durfte bei Serge nichts anfassen, wir durften nicht in seinem Wohnzimmer sitzen. Also kaufte ich ein kleines Haus in der Normandie, wo wir machen konnten, was wir wollten.

„Ich hatte einen ziemlich schlechten Charakter und darum tat ich, was ich wollte“

War es nicht merkwürdig für Serge?

Vielleicht war es das, aber ich hatte einen ziemlich schlechten Charakter und darum tat ich, was ich wollte. Und ließ ihn für zwei Monate im Gefängnis sein: Er musste in meinem Haus auf dem Land bleiben und er hasste das Land. Er sagte, er fühle sich jetzt schon wie sechs Fuß unter der Erde.

Serge kontrollierte Ihr Zimmer auf Sauberkeit, bestellte immer das Essen im Restaurant – mir kommt er etwas wie ein Vater vor…

Vielleicht habe ich danach gesucht. Ich hatte einen sehr guten Vater, aber das heißt nicht, dass man nicht immer nach so einem Typ Mensch sucht. Ich hatte ja auch einen älteren Bruder, und Serge hatte etwas von allen. Aber er war zugleich ein sehr erotischer Liebhaber. Und nach der Enttäuschung mit meinem ersten Mann John Barry war ich erstaunt, dass sich jemand überhaupt für mich interessierte und immer zuerst an mich dachte, jemand, der sich derart kümmerte. Das hatte ich nie kennengelernt, nie. Und jemand, der nur und die ganze Zeit an Erotik dachte. Er war ein komplett Wahnsinniger!

Vielleicht auch etwas anstrengend?

Nein, nein, es war faszinierend! Er hatte einen kleinen Koffer voller merkwürdiger Dinge. Ich war erstaunt! Ich kam ja aus dem prüden England und hatte so einen langweiligen Ehemann gehabt.

Hat Serge Sie ermuntert, sich zu befreien? Sie sagten über das berühmte Minikleid, das im Blitzlicht transparent war: wenn ich gewusst hätte, dass es transparent ist, hätte ich kein Höschen getragen.

Genau, das sah ja nicht gut aus. Nein, ich war schon so, das war der normale Look in London.

Die Kleider damals waren sehr, sehr kurz. Letztens fand ich eins wieder und hab es der Enkelin angezogen, sie konnte nicht fassen wie kurz es war. Als ich mit Charlotte schwanger war, bückte ich mich einmal, um etwas aufzuheben und ein Mann rief: schämst du dich nicht? Aber: nein, nie! Ich trug ja grell grüne Unterhosen und natürlich konnte man alles sehen. Zudem war ich im 9. Monat! Aber in London trugen wir T-Shirts. Es gab dort damals einen bösartigen Mann, der Kleber auf den Sitzen im Bus verteilte, um dich dafür zu bestrafen, so kurze Röcke zu tragen. Ist das nicht eine schlimme Idee? Sehr englisch, sehr englisch! Die französischen Mädels trugen zu der Zeit noch Röcke, die gerade mal das Knie zeigten.

Also haben Sie noch die coolen Kleider von damals?

Nein, nicht mehr so viele, ich gebe viel weg.

Was haben Sie aus der Zeit mit Serge behalten?

Ich hatte ein süßes, kleines Buch, das er mir gegeben hat und dass ich nicht mehr finden kann. Ich bin wie ein Eichhörnchen, stelle es gut weg, damit ich es wiederfinde und es nicht gestohlen wird. Charlotte wollte es für das Museum, aber ich kann es nicht finden. Es stand darauf: für Jane Birkin, durchgestrichen, Melodie Nelson, durchgestrichen - und ich kann das verdammte Ding nicht finden! Und es ist das Wertvollste, das ich von ihm habe. Und das zweite war natürlich mein Affe, den ich Serge gab – und ich weiß, wo der jetzt ist (Spielzeug aus der Kindheit, Namensgeber ihres 2019 veröffentlichten Tagebuchs „Munkey Diaries“, den sie 1991 zu Serge ins Grab auf dem Pariser Friedhof Montparnasse legte, Anm. d. Red.).

Interview von Claudia Pallavicini