
Auf dem Dachboden lag es in einer alten Kiste. Das kleine, vergilbte Kinderkopftuch aus den 50er Jahren. Die Schwiegermutter von Melanie Pfennig trug es als Kind. Jetzt kramten die beiden in der Kiste nach Kindersachen. Pfennig, eigentlich Grafikerin und damals – vor fünf Jahren – in der Babypause, verliebte sich sofort in das Tüchlein und beschloss, für ihre Tochter auch eins zu nähen. Erst einmal musste sie aber einen Kurs machen, ein Wochenende lang. Am Sonntagabend war es dann fertig – das erste Kinderkopftuch. „Wenn ich damals gewusst hätte, wie viele ich davon noch nähen würde ... Zum Glück sitze ich jetzt nicht mehr so lange dran!“ Mittlerweile entwirft und fertigt die 36- jährige Hamburgerin Kinder- und Frauen- Kopftücher, Lampen und andere Accessoires für ihr eigenes Label „Glüxpfennig“. Und ist vom Selbermachen begeistert. „Das ist für mich ein toller Ausgleich zu meinem Grafik-Job – da sitze ich ja immer nur vor dem Computer.“
Handarbeiten ist ebenso in, wie Selbstgefertigtes zu kaufen
Handarbeiten ist ebenso in, wie Selbstgefertigtes zu kaufen
Mit der Leidenschaft für Handgefertigtes ist sie nicht allein: Viele Menschen entdecken Handarbeitstechniken wie Nähen, Stricken oder Sticken wieder. Sie bedrucken H&M-Hemden oder verschönern Möbel von IKEA. „Do it yourself“ („Mach es selber“) – kurz DIY – ist das Stichwort zum Trend. Viele DIY-Fans sind junge Mütter, Frauen um die 30, die in der Babypause produktiv werden. Meist fangen sie mit Kleinigkeiten fürs eigene Kind an, dann erweitern sie ihre Produktpalette und schließlich ihr Forum: Jeden Tag melden diese Selfmade-Designerinnen digitale Shops bei Verkaufsplattformen wie dawanda.com oder etsy.com an – Letztere hat bereits zwei Millionen Mitglieder. Und beinah monatlich eröffnen in Großstädten kleine Läden, die diese Einzelstücke verkaufen.

Die Menschen sehnen sich nach Individualität
Die Menschen sehnen sich nach Individualität
Dass Selbstgemachtes gut ankommt, weiß auch Hannah Holzschuh, 32, aus Frankfurt/Main. Mit dem Baby wurde bei ihr die Lust auf Kreativität neu geweckt. Also nähte sie für ihre Tochter eine Patchworkdecke. Es war aufwendig, aber vom Ergebnis waren alle begeistert. Zuerst verschenkte sie ein paar, schließlich verkaufte sie ihre Decken. Heute kümmert sich die ausgebildete Erzieherin hauptberuflich um ihr Label „Zoë Navah“ – und schreibt schwarze Zahlen. Auch das Projekt von Melanie Pfennig wird immer erfolgreicher: „50 Prozent verdiene ich als Grafikerin, 50 mit meinen Produkten – aber es wird mehr.“ Warum kaufen so viele Menschen Selbstgemachtes? Rob Walker, Kolumnist der „New York Times“ und Autor des Buches „Buying In: The Secret Dialogue Between What We Buy and Who We Are“ (Der geheime Dialog zwischen dem, was wir kaufen und wer wir sind) meint: Manche seien gelangweilt von Massenprodukten, „sie wollen etwas Einzigartiges, sehnen sich nach Individualität in Zeiten, in denen das gleiche T-Shirt zwanzigmal auf der Stange hängt. Andere mögen die Idee, dass sie denjenigen kennengelernt haben, der die Tasche gemacht hat. Einige haben ethische Ansprüche: Sie denken an die Umweltfolgen und Arbeitsbedingungen global produzierender Konzerne.“ Auch bei Lebensmitteln steigt die Nachfrage nach lokalen Spezialitäten, nach Bio- und Fairtrade-Produkten stetig. Wir wollen wissen, woher unsere Nahrung kommt. In anderen Bereichen, wie etwa Mode oder Wohnaccessoires, verhalten sich die Konsumenten ganz ähnlich. Und sie sind bereit, dafür mehr Geld auszugeben. Ein Kopftuch von Glüxpfennig etwa kostet 26 Euro, ein Zoë-Navah-Kinderkleid gibt es ab 50 Euro. Der Boom der Do-it-yourself-Produkte mag auch an den neuen Vertriebsmöglichkeiten liegen.

Wichtig ist nicht der Erfolg, sondern der Spaß an der Arbei
Wichtig ist nicht der Erfolg, sondern der Spaß an der Arbeit

