Ildikó von Kürthy: „Das Leben ist auch mal scheiße“

Niemand schreibt so lustig und gleichzeitig so einfühlsam über Liebe, Freundschaft und Selbstfindung wie Ildikó von Kürthy. Und das seit 25 Jahren. Ein Gespräch über ungefärbte Haare, Hitzewallungen und das gute Gefühl beim Wäscheaufhängen.

Ildiko von Kürthy

Ildikó von Kürthys neuer Roman "Eine halbe Ewigkeit" ist die Fortsetzung ihres Bestsellers "Mondscheintarif".

© Foto: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt

Vor 25 Jahren ist Ildikó von Kürthys Erfolgsroman "Mondscheintarif" erschienen. Mit "Eine halbe Ewigkeit" liefert die 55-jährige Autorin nun die Fortsetzung. Nicht nur bei ihrer Protagonistin Cora Hübsch hat sich in dieser Zeit einiges verändert. Gleiches gilt auch für Ildikó von Kürthy selbst, die wir zum Interview getroffen haben. Und zwar nicht nur, um über ihr neues Buch, sondern auch über Wechseljahre und das Leben an sich zu sprechen.

Ildikó von Kürthy im FÜR SIE Interview

FS: Als „Mondscheintarif“ erschien, waren Sie 30. Mit welchen Gefühlen denken Sie heute an die Ildikó von damals? 

Mit einem milden Lächeln der Besserwisserin. Damals dachte ich natürlich, ich hätte echt Ahnung vom Leben, was aber Quatsch war! Und ich denke daran, wie viel Drama ich um alles gemacht habe.

FS: Sie waren also eine Dramaqueen? 

Ja, schon. Ich brauchte Highlights, kostete große Gefühle aus und befeuerte sie. Das hatte auch alles seine Berechtigung, es war nur sehr anstrengend für mich und auch für mein Umfeld. Ich bin froh, dass inzwischen so eine Moderatheit in mein Leben gekommen ist, und auch eine gewisse Ordnung, auf die ich Wert lege. Das liegt sicher daran, dass man mit Kindern organisierter sein muss. Aber ich glaube, es hängt auch mit der Stabilität und dem beruhigenden Gefühl zusammen, das mir ein gemachtes Bett oder die aufgehängte Wäsche vermitteln. Morgens Wäsche aufzuhängen, ist für mich schon mal ein guter Start in den Tag.

FS: Was würde Ihr früheres Ich wohl dazu sagen? 

Wenn die mich heute sehen könnte, sie würde ganz sicher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und entsetzt fragen: „Wie kannst du dich nur so gehen lassen und dich mit so wenig zufrieden geben?“

Neulich war ich sogar mit Fahrradhelm einkaufen. Da würde mein früheres Ich mir laut zurufen: „Ich glaube, es hackt!“

FS: Wenig? Sie sind immerhin Bestseller-Autorin...

An meiner Karriere hätte sie wohl nichts zu meckern. Aber an mir als Ildikó. Sie könnte nicht verstehen, dass ich mir die Haare nicht mehr färbe, keine hohen Schuhe mehr trage. Neulich war ich sogar mit Fahrradhelm einkaufen. Da würde mein früheres Ich mir laut zurufen: „Ich glaube, es hackt!“ Auch dafür, dass mein größtes Glück darin besteht, mit meiner Familie zusammen Abendbrot zu essen, auf dem Sofa Serien zu gucken und früh ins Bett zu gehen, hätte sie kein Verständnis. Die 30-Jährige würde mehr Action erwarten. Ich bin gebürtige Rheinländerin, bin Karneval, Party, Rausch. Aber der ist vorbei. Auch der Alkohol-Rausch, zumindest momentan. Seit zweieinhalb Jahren trinke ich keinen Alkohol mehr.

FS: Wie kam es zu der Entscheidung? 

Früher habe ich immer gesagt: Ich bin ein Genussmensch. Heute aber kann ich sagen: Das stimmt nicht. Ich bin ein Suchtmensch. Ich hätte mich nie gegen den Genuss entschieden. Aber es war immer zu viel. Ich habe Kette geraucht, eine Flasche Wein getrunken, kein Glas. Kein Stückchen Schokolade gegessen, sondern eine Tafel. Genuss geht mit Dosierung einher und das Mittelmaß suche ich immer noch. Und weil ich mich damit so schwer tue, habe ich eben manche Dinge komplett aus meinem Leben verbannt. Wie gern würde ich abends zu einem zwei Finger hohen Whisky zwei Zigaretten rauchen. Aber dabei bleibt’s eben nicht. Vielleicht komme ich da irgendwann noch hin.

FS: Ihr erster Roman war gleich ein Bestseller. Dann wurde er verfilmt. War da hin und wieder so ein Gefühl wie: Kneif mich mal? 

Schon. Aber gleichzeitig habe ich immer gedacht: Es ist doch klar, dass ich kein Buch schreibe, das nur wenigen gefällt. Und zwar ganz einfach aus dem Grund, weil ich so normal bin. Ich höre die Charts, Filme, die ich mag, mögen auch viele andere. Ich habe überhaupt keinen absonderlichen oder abgehobenen Geschmack. Ich bin im besten Sinne durchschnittlich. Und deshalb dachte ich: Was ich schreibe, wird nicht weit weg sein vom Geschmack der Masse.

FS: Sie waren auf der Henri-Nannen-Journalistenschule, haben unter anderem beim „stern“ gearbeitet. Ihre Karriere hätte auch eine ganz andere Richtung nehmen können. 

Um mich herum strebte man Karrieren an wie Auslandskorrespondentin bei der SZ. Mir einzugestehen, dass das nicht mein Weg sein würde, war gar nicht so leicht, aber unheimlich wichtig! Dabei geholfen hatte mir der Rat einer älteren Kollegin, die zu mir sagte: „Beschäftige dich mit dem, was dich interessiert und womit du dich wohl fühlst.“ Ich habe dann viel über Psychologie geschrieben und Porträts über Schauspieler gemacht. Das war meins. Auch wenn solche Themen in meinen Kreisen damals nicht so hoch angesehen waren. Eines Tages bekam ich dann einen Anruf vom Rowohlt Verlag mit der Frage, ob ich Lust hätte, etwas Lustiges für Frauen zu schreiben. 

Ich will nicht mehr posieren. Ich will mich zeigen, wie ich bin und schreiben, was ich fühle

FS: Die Handlung in „Mondscheintarif“ lässt sich kurz zusammenfassen: Sie wartet auf seinen Anruf. In der Fortsetzung „Eine halbe Ewigkeit“ braucht man dafür mehr Sätze. Werden Frauenleben ab 50 komplexer? 

Das stimmt, bis vor wenigen Jahren waren alle meine Bücher in einem Satz zusammenzufassen. So bin ich da auch rangegangen. Aber dann gab es wirklich so eine Schreibsituation der Entscheidung. Das war 2019 bei dem Roman „Es wird Zeit“. Die Anfangsszene ist relativ lustig und slapstickartig. Als ich sie geschrieben hatte, dachte ich: Jetzt muss ich mich entscheiden. Entweder bleibe ich in diesem Ton oder ich lade in meine Bücher das Schicksal ein in Form von Verlust, Krankheit, Schmerz – so wie es in meinem Leben schon längst eingetreten war. Ich wusste dann ganz genau, ich konnte nicht weitermachen wie bisher. Das wäre wie eine Pose gewesen. Diese Entwicklung ging mit meiner eigenen inneren einher. Denn auch in meinem Leben wurde mir irgendwann klar: Ich will nicht mehr posieren. Ich will mich zeigen, wie ich bin und schreiben, was ich fühle. 

FS: Denken Sie, diese Entwicklung hat mit den Wechseljahren zu tun? 

Das glaube ich schon, auch wenn ich anfangs gar nicht wusste, dass dieses kritischer, auch zickiger werden und Grenzen ziehen, mit dem Abbau des Östrogens zu tun hat. Erst als ich Hitzewallungen bekam, war mir klar: Jetzt bin ich drin. Noch immer werden wir Frauen über das Thema nicht genug aufgeklärt, denn das Problem ist: Viele Ärzte wissen selbst nur sehr wenig darüber. 

FS: Die Gynäkologin Sheila de Liz spricht von den „fabelhaften Wechseljahren“. Wie empfinden Sie diese Lebensphase? 

Ich finde die Zeit anstrengend und halte es wirklich für ungerecht, dass viele von uns so leiden müssen. Die Natur hat sich da nicht gut informiert. Wir Frauen um die 50 sind doch auf der Höhe unserer Reifheit und unseres Wissens – und dann kommt dieser Break. Aber zum Glück muss man Beschwerden nicht aushalten. Gegen Hitzewallungen und Schlafstörungen nehme ich inzwischen Hormone.

FS: Woraus schöpfen Sie Kraft?

Mein Hund Hilde ist eine Quelle der Entspannung und des Trostes. Und ich schwimme, so oft ich kann. Vor einiger Zeit habe ich mir auf dem Land einen Rückzugsort geschaffen, eine Wohnung, in der ich die Chefin bin und alles so aussieht, wie ich es haben will. Viele Lichterketten haben inzwischen ihren Weg dorthin gefunden. Und mir hilft die relativ neue Einsicht, dass die Realität nicht immer so ist, wie man sie sich vorher gewünscht hat. Man muss akzeptieren und aushalten, dass das Leben auch mal scheiße ist. Sonst wäre es ja kein Leben.

Interview von Inken Bartels

Ildikó von Kürthy feiert mit "Eine halbe Ewigkeit" ihr Jubiläum

Sie erinnern sich noch an den Erfolgsroman "Mondscheintarif" und sind gespannt, was Ildikó von Kürthys Protagonistin Cora Hübsch heute so macht? Zum 25. Jubiläum lässt die 55-Jährige ihre Protagonistin wieder aufleben. Den Roman können Sie hier bestellen:

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So viel dürfen wir schon verraten: Langeweile kommt im Leben von Ildikó von Kürthys Protagonistin ganz sicher nicht auf!