FS: In Ihrem neuen Buch "Das Ernährungsgefühl" sagen Sie, dass Emotionen eine große Rolle bei unserer Ernährung spielen. Corona ist eine gefühlsintensive Zeit, wie verändert die Pandemie unser Essverhalten?
Wir sind, anders, als wir uns das gerne einreden, keine rationalen Esser. Wir lassen uns von Gefühlen steuern, von Stress, Langeweile, Liebeskummer. Der eine mehr, der andere weniger. Denken Sie an Bridget Jones, die schon Schokolade zum Frühstück isst, um ihrer Seele etwas Gutes zu tun und ihren Kummer zu lindern. Corona als emotional herausfordernde Zeit beeinflusst natürlich auch die Art und Weise, wie wir essen. Studien zeigen, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung Stress-Esser sind, sprich, sie kompensieren Stress durch den Griff zur Tafel Schokolade oder salzigen Snacks. Kein Wunder also, dass Studien zeigen, dass die Bevölkerung durch Corona an Gewicht zugelegt hat.
FS: Was raten Sie Menschen, die sich jetzt in einer emotionalen Krise befinden und dadurch viel zu viel essen oder sich schlecht ernähren?
Um einen gesünderen Ernährungspfad einzuschlagen, müssen wir unsere Achtsamkeitskompetenzen stärken. Für Menschen in stressigen Situationen mag das auf den ersten Blick fast nach einer Zumutung klingen, doch auf lange Sicht lohnt sich die Investition. Achtsamer zu essen bedeutet, dass man sich tatsächlich auf das Hier und Jetzt konzentriert, Ablenkungsquellen wie Netflix ausschaltet, genießt, schmeckt, zur Ruhe kommt. In meinem Buch beschreibe ich unter anderem die sogenannte „Rosinen-Meditation“. Es lohnt sich, sie auszuprobieren!
In Ihrem neuen Buch geht es ums Gefühl fürs Essen, also nicht nur um gesunde Lebensmittel, sondern wie wir mit unseren Gelüsten am besten umgehen und Bedürfnisse besser einordnen können. Wir wissen ja, dass man der Lust auf Schokolade beispielsweise nicht ständig nachgeben kann, wenn man nicht zunehmen möchte. Was genau möchten Sie also sagen?
Um seine Ernährung zu verändern, muss man wissen, welche psychologischen Mechanismen im Spiel sind. Also: Esse ich, um mich abzulenken? Tröstet mich ein Tiramisu? Esse ich, um mich zu belohnen? Versuche ich, durch Essen negative und kritische Gedanken betäuben und meinen Geist zu beruhigen? Um Licht ins Dunkel zu bringen, hilft ein Ernährungstagebuch übrigens ungemein.
In der Coronakrise zeigen sich auf Instagram immer wieder Promis, die teilweise schon am früh am Tag ihren ersten Drink zu sich nehmen – und das ganz offen feiern. Was macht das Ihrer Meinung nach mit deren Followern und warum nehmen Promis gerade jetzt ihre Vorbildfunktion nicht (mehr) wahr?
Gewiss spielt dabei auch eine gesteigerte Sehnsucht nach Aufmerksamkeit eine Rolle, die öffentlichen Bühnen sind schließlich dicht, bleibt also nur noch das Internet. Nach dem Motto, hey, schaut mal, wie cool ich bin. Mit einer Vorbildfunktion hat das natürlich nicht mehr das Geringste zu tun. Bleibt zu hoffen, dass die Follower schlau genug sind, und sich daran kein Beispiel nehmen.
Was sind Ihre 3 besten Tipps, damit wir uns trotz Corona und den eingeschränkten Lebensbedingungen wohl in unserer Haut fühlen?
Spazierengehen. Kochen. Und von einer Welt nach Corona träumen.
Tanja Seiffert: Vielen Dank für das Interview!
