Staatliche Fürsorge gibt trügerische Sicherheit

Staatliche Fürsorge gibt trügerische Sicherheit

Jede durchdachte Zukunftsplanung befasst sich, unabhängig vom Geschlecht, mit eigener Vorsorge und auch Geldanlage. „In den Details und bei der Umsetzung gibt es jedoch erhebliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen“, weiß Christine Müller. Die Mitbegründerin der Ökobank e. G. berät als Senior Financial Consultant deutschlandweit insbesondere Frauen bei deren finanzieller Lebensplanung. Seit mehr als 30 Jahren lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg.

Geld Money© Pixabay

Frau Müller, ohne auf Vorurteile oder vorschnelle Einschätzungen einzugehen: Lassen sich Frauen lieber von Frauen oder von Männern beraten?

Nach meiner Erfahrung sind Frauen für gute Beratung dankbar. Leider erleben sie diese eher selten. Aus einfachem Grund. So zieht die Finanzbranche besonders Menschen an, denen Geld sehr viel bedeutet. Deswegen bewegen sich Berater eher an Frauen vorbei als auf sie zu. Nicht selten den speziellen Beratungsbedarf von Frauen ignorierend oder gar missachtend.

Ob bei Frauen oder Männern – die finanzielle Zukunfts- und Vorsorgeplanung wird zunehmend wichtiger. Welche Risiken sollten dabei zwingend abgedeckt werden?

Unser Land verfügt über ein staatliches Fürsorgesystem – Alter, Krankheit oder Erwerbsminderung sind normalerweise nicht existenzbedrohlich. Die Dominanz staatlicher Lösung gibt auf der anderen Seite den Menschen in Deutschland eine trügerische, ja gefährliche Sicherheit. Diese Erfahrung mache ich in fast jedem Beratungsgespräch. Dies dürfte mit der wichtigste Grund für teils erhebliche Informationsdefizite sein – etwa im Hinblick auf Rentenlücke, Besteuerung während des Erwerbslebens und im Alter wie auch die Möglichkeiten der privaten Vorsorge.

Welches sind aus Ihrer Sicht die größten Lebensrisiken einer Frau?

Das mit Abstand größte Lebensrisiko für Frauen ist die Menge an Einzelrisiken. Herkunft, Alter, Krankheit, Partnerwahl, Bildungsstand sowie Beruf – um einige der wichtigsten zu nennen. Für die heute jungen berufstätigen Frauen, oft studiert oder gar promoviert, bedeutet Geld Anerkennung ihrer Leistungen. Sobald aber die Familiengründung beginnt, gibt es diese Selbstverständlichkeiten oft nicht mehr. Alles hängt an ihnen, das erleben wir gerade in der Corona-Phase. Frauen haben plötzlich systemrelevante Berufe, zugleich bleibt die Last des Corona-Alltags fast ausschließlich bei ihnen. Zudem steht die gesellschaftliche Bedeutung von Frauen oft im Kontrast zur innerfamiliären Wertigkeit des Einkommens. Wenn der Mann mehr verdient, gilt innerhalb der Beziehung dessen Arbeit als wichtiger. Grundsätzlich gilt: Geld ist zweifellos bedeutsam. Aber es ersetzt keine partnerschaftliche Ehe und auch keine funktionierende Infrastruktur wie eine gute Kita oder gute Schulen.

Mit welchen Vorsorgeangeboten lassen sich die eben genannten Risiken abdecken?

Die Versicherungs- und Finanzbranche bietet gefühlt unzählige Produkte für praktisch jedes Risiko, das wir als solches empfingen oder das später noch – sozusagen – in irgendeiner Marketingabteilung „erfunden“ wird. Die Entscheidung für eines oder gleich mehrere Vorsorgeprodukte wird aber in der Regel wirkungslos verpuffen, wenn es keine solide Basis gibt. Heißt: Das Wichtigste ist eine gewissenhafte Haushaltsführung, Budgetierung, ein solides „Financial Planning“. Das daraus resultierende Sparverhalten gibt die Richtung vor. Im Anschluss heißt es, kurz-, mittel- und langfristige Ziele zu definieren. Alles Weitere ist dann Sache einer guten, weil den individuellen Bedürfnissen entsprechenden Finanzberatung, die durch Internetangebote nicht zu ersetzen ist.

Ist es möglich, Eigenvorsorge und Geldanlage miteinander zu kombinieren?

Das ist heute mehr denn je die Herausforderung. Gerade in dieser Hinsicht sind Frauen mit ihrem grundlegenden Misstrauen gegenüber Hochglanzprospekten, vollmundigen Versprechen und auch spekulativen Geldanlagen bestens gerüstet. Nach meiner Erfahrung stellen Frauen mit eigener Vorsorge und Geldanlage bei der Prüfung passender Angebote die richtigen Fragen. Etwa nach CO2-Einsparungen, Haltbarkeit von Produkten, Ressourcenschonung und Tierwohl. Auf diese Weise werden Anbieter, die so gut wie keinen Wert auf Transparenz und Ehrlichkeit ihrer Produkte legen und die sich überdies selbst über den grünen Klee loben, von vornherein aussortiert.

Stichwort Geldanlage: Unterscheiden sich Männer und Frauen beim Investieren erkennbar bei der Risikobereitschaft?

Meiner Erfahrung nach blenden Männer existenzielle Risiken eher aus. Ihr Investitionsverhalten hat oft etwas Spielerisches im negativen Sinn. Bisweilen spielen für die Menschheit entscheidende Dinge zugunsten der Rendite bzw. Renditeerwartung eine erkennbar untergeordnete Rolle. Ich denke an die Klimakrise, das Artensterben, die Vernichtung natürlicher Ressourcen. Die Ignoranz diesen Problemen gegenüber zeigt eine Bereitschaft, sich auf Kosten anderer zu bereichern und diese über die Maßen zu belasten. Ob Frauen anders, eher mit moralischer und ethischer Verantwortung, denken, sollte jede selbst beantworten.

Welche Form der Geldanlage bevorzugen Ihrer Erfahrung nach Frauen?

Sobald die Grundsicherung – Stichworte: Rente, Krankheit, Erwerbsminderung – vorhanden ist, sind Frauen in der Regel sehr offen für Neues. Das können Investitionen überall auf der Welt sein, aber auch gleich vor der Haustür. Allgemein sind Frauen persönlich vorgetragenen Argumenten zugänglich. Sie misstrauen Statistiken, Charts und anderen Kurven. Genau das bewahrt sie meist davor, auf die in unserer Branche überproportional vertretenen Verkäufer-Typus hereinzufallen.

Welche Formen der Geldanlage sollten Frauen nach Ihrer Meinung stärker berücksichtigen?

Alle sollten sich Schritt für Schritt mit dem Thema Investment und Vermögensaufbau beschäftigen und allmählich mit den eigenen Vermögenswerten wachsen. Immobilien und Liquidität sind als Anlageformen weitgehend bekannt. Unternehmerische Beteiligungen, die sich maßgeblich im Aktienbesitz ausdrücken, nicht so sehr. Heißt also: Auch für Frauen gibt es im Hinblick auf eigene Vorsorge und langfristige Investments zu Aktien keine ernst zu nehmende Alternative.

Nach Angaben des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes hat nur jede achte Frau Aktien bzw. Aktienfonds, aber jeder vierte Mann. Was sind die Gründe für diese Diskrepanz?

Die bloße Existenz des Geldes auf dem Konto suggeriert oft zu wissen, was Frau hat. Oder auch, was Mann hat. Im Grunde ist dies nur eine Zahl, ein Betrag auf einem kleinen Blatt Papier, dem Kontoauszug. Fraglich also, ob dieser Betrag einen echten Wert darstellt wie etwa Eigentum an Produktivvermögen. Nichts anderes sind Aktien. Produktivvermögen hat im Hinblick auf Wertentwicklung und Wertschöpfung erhebliches Potenzial, weil es stetige Erträge generieren kann. Die Aktionärin hat letztlich beides: Regelmäßige Einnahmen aufgrund der Dividenden sowie die Chance, dass der Unternehmenswert wächst. Und somit der Preis der Aktien auf längere Sicht steigt.

Sollten die von Ihnen erwähnten „unternehmerischen Beteiligungen“ besser in Einzelaktien oder in Aktienfonds erfolgen?

Einzelwerte, Direktinvestments und andere Vermögensanlagen setzen in der Regel ein etwas größeres Vermögen voraus. Aus diesem Grund sind Fonds für ein breiteres Publikum geschaffen worden. Investmentfonds haben zwei wesentliche Vorteile gegenüber Einzelaktien: Die breite Streuung des Fondsvermögens über dutzende, mitunter hunderte unterschiedlicher Einzelwerte. Dies trägt wesentlich zur Verringerung des Risikos bei. Zudem besteht die Möglichkeit, der zweite Vorteil von Fonds, den Vermögensaufbau gleichsam ratenweise über einen Fondssparplan zu betreiben. Ein solcher Sparplan hat den großen Vorzug, dass langfristig starke Ausschläge an den Aktienmärkten geglättet werden, der sogenannte Cost Average-Effekt.

Unterstellt, Frau möchte nunmehr für mindestens zehn Jahre in Aktien investieren. Welche Themen würden Sie bevorzugen?

Meine Auswahl ist selbstverständlich subjektiv. Für mich persönlich ist – in die Zukunft adressiert – jedes Thema sinnvoll und empfehlenswert, das in den 17 Nachhaltigkeitszielen der UNO formuliert wird und zwar mit Ausdauer, also einer Buy-and-Hold-Strategie. Zu den Themen zählen die weltweite Versorgung mit Trinkwasser, die spürbare Verbesserung der medizinischen Versorgung überall auf der Welt, Bildung und viele andere Dinge mehr. Letztlich geht es um die höhere Wertschätzung menschlicher Arbeit sowie um Innovation und darum, Ungewissheit in Gewissheit zu verwandeln – in der Industrie, in der Finanzbranche, in der Wissenschaft und auch in den Medien.

Nicht jeder hat Jahrzehnte Zeit, um mit Aktien und Aktienfonds Vermögen zu bilden. Was raten Sie der Generation 50+, insbesondere Frauen, die 15, 10 oder 5 Jahre vor der Rente sind?

Auch die viel zitierte Generation 50+ ist nicht zu alt für Aktien- bzw. Aktienfonds-Investments. Mit zunehmendem Alter sollte der Anteil an Aktien am Gesamtvermögen verringert werden. Im Herbst des Lebens, wenn man dies so sagen darf, ist eine gut austarierte Mischung aus Liquidität, Immobilien, Zins tragenden Papieren und Aktienfonds empfehlenswert. Welchen Anteil die jeweiligen Asset-Klassen am Gesamtvermögen haben, hängt einmal mehr ab von der Mentalität der Kundin, also ihrer Risikobereitschaft. Grundsätzlich sollte das Portfolio so aufgebaut sein, dass Entnahmen gleichsam als private Rente möglich sind, ohne die Vermögenssubstanz deutlich zu schmälern.

Christine Müller, Senior Financial Consultant© Christine Müller
Christine Müller, Senior Financial Consultant, berät Frauen bei der Finanzplanung.
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