
Leben ohne Plastik - geht das?
Eines Tages landete ein Buch auf meinem Schreibtisch. Auf dem Cover war eine Familie zu sehen, die – so schien es – ihr komplettes Hab und Gut auf den Rasen gestellt hatte. Der Titel: „Plastikfreie Zone. Wie meine Familie es schafft, fast ohne Kunststoff zu leben“. Was steckte dahinter? Ich las den Klappentext: „Schockiert über die Auswirkungen, die die gigantischen Plastikmengen auf Gesundheit und Natur haben, beschließt Sandra Krautwaschl mit ihrem Mann und drei Kindern, ohne Plastik zu leben.

Es wird für uns und unsere Nachkommen immer wichtiger, die Umwelt zu schützen:
- Arbeitsplätze im Bereich Umwelt
-Engagement in Sachen Umwelt
- Geld sparen duch Sonnenenergie
Gar nicht so einfach: Was tun, wenn man sich weiter die Zähne putzen, telefonieren und sich der Sohn ganz sicher nicht von seiner Plastik-Ritterburg trennen will?“ Hm. Über Plastik als giftigen Müll hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Klar, meine Getränke hole ich lieber in recycelbaren PET- als in schweren Glasflaschen. Die Verpackungen meiner Einkäufe entsorge ich im gelben Sack. Wo ist das Problem? Und wieso reagiert eine ganze Familie so extrem auf einen Stoff, dessen Erfindung als eine der größten Errungenschaften der modernen Zivilisation gilt? Ich wollte diese merkwürdige Familie kennenlernen.
Plastik überlebt 25.000 Jahre
Als ich an der Bushaltestelle Rein der Gemeinde Eisbach in der Steiermark auf Sandra Krautwaschl warte, fällt mir eine Anzeige ins Auge. Unter dem Rubrum „Müll vermeiden“ ist zu lesen, wie lange eine Plastikflasche in der Natur „überleben“ kann. 25 000 Jahre! In diesem Moment fährt Sandra Krautwaschl um die Ecke. Eine lebhafte und sympathische Frau, die den Wagen flott und sicher über die verschneiten Landstraßen lenkt, hin zu ihrem „Heim ohne Plastik“. Schon auf dem kurzen Weg erfahre ich, dass das, was im Oktober 2009 als Experiment für einen Monat startete, inzwischen zu einer festen Gewohnheit geworden ist. „Wir haben uns auf einen halben gelben Sack Plastikmüll im Jahr heruntergeschraubt. Wahnsinn, oder?!“ Ich muss schlucken. Meiner ist alle zwei Wochen prall gefüllt. Als könne sie meine Gedanken erraten, sagt sie lachend: „Nun machen Sie sich keinen Kopf. Es geht hier nicht um gut oder böse, richtig oder falsch. Wir wollten einfach herausfinden, ob es möglich ist. Haben Sie Hunger? Ich wollte uns eine Pizza bestellen.“
Als wir in der geräumigen Küche Platz nehmen, mustere ich verstohlen die Umgebung. Schraubgläser, Stofftaschen, Glasflaschen, Körbe. Alles normal. Okay, denke ich mir. Hier ersetzt die Stofftasche die Plastiktüte und die Glasflasche den Tetrapak. Das könnte ich auch. Aber wie geht es weiter? Angefangen bei plastikverschweißten Lebensmitteln bis zu Zahnpastatuben mit ihren Schraubverschlüssen aus Kunsttoff? Und warum das Ganze? „Weil ich ein neugieriger Mensch bin. Und weil ich schon als Kind jedes Bonbonpapier, das im Wald herumlag, aufheben musste“, erzählt sie mit einem Grinsen.
„Als ich 2009 den Dokumentarfilm ,Plastic Planet‘ sah, war ich geschockt, wie haltbar Plastikmüll ist und wie abhängig wir alle von dem Zeug sind.“ Dabei er- fuhr sie, dass wir Plastik sogar im Blut haben. Der Inhaltsstoff Bisphenol Asteckt in Autoteilen, Baustoffen, CDs, Zahnfüllungen, Lebensmittelverpackungen und Babyfläschchen. Als Müll entweicht er in die Umwelt, gelangt ins Grundwasser und in den Hausstaub. Und irgendwann auch in unser Blut. Mit gesundheitsschädigender Wirkung, deren ganzes Ausmaß sich wohl erst in den nächsten Generationen zeigen wird. „Das hat mich wütend gemacht. Und ich dachte mir, das muss doch auch anders gehen.“ Als die Krautwaschls ihr Experiment starteten, gab es nur eine Bedingung: Wenn es in Stress ausartet, brechen wir ab. Die Sache soll Spaß machen!
Das Experiment spart Geld
Sandra Krautwaschl kann sich noch gut an ihren ersten plastikfreien Einkaufstag erinnern. „Auf unserer Einkaufsliste standen Klopapier, Holzzahnbürsten, Shampoo in Glasflaschen, Metallboxen für die Pausenbrote der Kinder, eine Milchkanne aus Emaille oder Metall, nachfüllbares Geschirrspülmittel, Nudeln. Wir kamen mit leeren Händen zurück. Wir hatten nichts gefunden, was nicht irgendwie mit Plastik zu tun hatte.“ Was dann folgte, war „kreatives Herumwurschteln“. Unter Hinzuziehung des Internets und vieler Freunde.
Heraus kamen viele pfiffige Lösungen: Anstatt Zahnpasta benutzen die Krautwaschls inzwischen Birkenzucker. Zum Haarewaschen eignen sich Wascherde oder spezielle Haarshampoo-Seifen aus kleinen Manufakturen. Lebensmittel lassen sich in Einmachgläsern einfrieren. Obst und Gemüse verpackungsfrei beim Bauernhof als „grüne Kiste“ bestellen. Geputzt wird mit Essig und Zitronensäure. Und gewaschen mit sogenannten Waschnüssen. Putztücher werden aus alten Frotteehandtüchern gewonnen. Und für den Toilettengang hat die Familie Papierhandtücher aus Recyclingpapier gefunden, die es im Großhandel in einer Kartonverpackung gibt. „Mit der ersten Großpackung für 25 Euro sind wir ein Dreivierteljahr ausgekommen.“
Rund 2000 Euro im Jahr haben die Krautwaschls seit der Umstellung auf weitgehend plastikfreien Konsum mehr in der Haushaltskasse. „Das liegt auch daran, dass wir nach und nach unser Einkaufsverhalten verändert haben. Plötzlich stellst du fest, dass du weniger kaufst, weil es dies und das eben nur mit oder in Plastik gibt. Oder wie du immer weniger Vorräte anlegst, weil keine Tupperdosen mehr in der Kammer stehen. Wie du weniger wegwirfst und dafür mehr aufbrauchst, was du hast.“ Ganz von allein, einfach nur befeuert durch Neugier und Entdeckerlust, ist aus dem Experiment eine Haltung geworden. In ihrem Blog keinheimfuer plastik.at tauschen sich täglich mehrere Tausend Nutzer darüber aus, wie sich Plastik im Alltag vermeiden lässt. „Und man muss dabei nicht zum Plastik-Taliban werden“, sagt Sandra Krautwaschl lachend. Es gehe nicht um Perfektionismus.
Schon mit dem Verzicht auf die allgegenwärtigen „Plastiksackerl“ lasse sich eine Menge erreichen. „Der Rest ist eine Frage von Leidenschaft und Experimentierfreude.“ Natürlich stoße man auch an seine Grenzen. Handy, Computer, Fernseher, Auto. „Dafür gibt es keinen plastikfreien Ersatz. Noch. Aber wir holen uns nicht alle zwei Jahre ein neues Handy, und das Auto zum Beispiel teilen wir mit einer anderen Familie.“ Es sind die kleinen Dinge, die in ihrer Summe etwas Großes entstehen lassen. Die Kinder kommen von der Schule. Alle drei sind hungrig und machen sich über die Pizza her. Es wird gelacht, geplaudert. An diesem Tag hat es Einsen geregnet. Für Marlene (13) und Samuel (16) in Mathe. Und für den elfjährigen Leonard in Biologie, seinem Lieblingsfach. „Wie findet ihr euer Experiment?“, will ich wissen. „Gut“, lautet die knappe wie ehrliche Antwort. Und Leo fügt hinzu: „Meine Ritterburg habe ich aber immer noch.“ Damit, so sagt er, können später ja auch noch andere Kinder spielen. Im Müll wird sie jedenfalls „niemals in der Welt“ landen. Auf dem Heimweg will ich mir am Bahnhof etwas zu trinken kaufen. Mir ist nach Apfelsaft zumute. Ich finde zwar fünf verschiedene Sorten, aber alle entweder in Plastikflaschen oder im Tetrapak. Dann fällt mein Blick auf steirisches Quellwasser in einer hübschen Glasflasche. Die nehm ich!
Lego, Becher, Küchenstuhl – erstaunlich, wie viele Alltagsgegenstände aus Kunststoff gefertigt sind. Leider halten sie nicht ewig: Jeder von uns wirft pro Jahr rund 100 Kilogramm Plastik in den Müll.
