
Angelika Schaller war kein dickes Kind. Auch als Teenager sah sie eher zart und zerbrechlich aus. Ihre schwergewichtige Karriere begann, als sie 18 war, steigerte sich langsam, mit vielen Aufs und Abs. Erfuhr ihren Höhe- und Wendepunkt im Juli 2001, als sie – damals 44-jährig – 130 Kilo auf die Waage brachte und statt der tausendsten Diät einen radikalen Wechsel ihres Lebensstils beschloss. Sie wusste: „Es geht um Leben oder Tod.“ Sie schafft es innerhalb von anderthalb Jahren 50 Kilo abzunehmen und dieses Gewicht bis heute zu halten. Die Münchner Medizinjournalistin, 52, schrieb über ihre Erfahrungen ein auch für Nicht-Dicke bewegendes und erhellendes Buch: „Maßlos“ (Bookspot Verlag, 16,80 Euro).
Emotionen bedingen Gewichtsschwankungen
Gewichtsschwankungen sind normal. Im Prinzip jedenfalls. Fast jede Frau kennt Ausschläge in beide Richtungen, hat mindestens zwei bis drei Kleidergrößen im Schrank hängen und könnte ihren Lebenslauf auch nach Kilos geordnet schreiben. So wie sie beim Durchblättern eines Fotoalbums ihre jeweilige Figur
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Mit 22 verliebte sie sich in einen deutlich älteren Mann, der krankhaft eifersüchtig war. Dadurch bekam die Beziehung etwas Zerstörerisches. Angelika Schaller merkte, dass sich ihr Essverhalten erneut veränderte: „In Anwesenheit anderer aß ich kaum etwas, sperrte mich aber oft in meinem Zimmer ein, um schnell und unkontrolliert große Mengen zu verschlingen.“ Sie trug jetzt Größe 40/42. Ihr Freund nannte sie „Dickerchen“. Es gibt einigermaßen gesicherte Erkenntnisse darüber, wann eine Frau auf zusätzliche Pfunde gefasst sein sollte, auch wenn es nicht jede trifft. Laut einer aktuellen Yakult-Umfrage in England wiegt zum Beispiel jede fünfte Ehefrau ein Jahr nach ihrer Heirat im Durchschnitt zehn Kilo mehr. Und Schwangere nehmen bis zur Geburt im besten Fall, wie von Ärzten empfohlen, elf Kilo zu. Es kann aber auch ein bisschen mehr werden. Und manchmal länger bleiben. Angelika Schaller wollte damals weder heiraten noch Kinder kriegen. Weil sie fürchtete, wieder einen geliebten Menschen zu verlieren. „Das hätte ich nicht ertragen.“ Sie legte weiter kräftig zu.
Stress, Unglück, Kummer: Essen war ein Trost
Als sie sich nach vier Jahren von ihrem eifersüchtigen Freund trennte, wog sie 84 Kilo. Das Wiederaufleben einer Jugendliebe sorgte dafür, dass die Pfunde purzelten. Als auch diese Beziehung in die Brüche ging, war sie Anfang 30. „Da brachen alle Dämme.“ Sie begann, wie sie heute selbst analysiert, sämtliche Muster einer Essstörung auszuformen. Privat war sie unglücklich, beruflich erfolgreich. Für jede Höchstleistung belohnte sie sich mit Essen. Und andersherum: „Ob Stress, Unglück, Kummer, Einsamkeit, Langeweile – immer gab das Essen die richtige Antwort.“ Wie Menschen auf Frust und Stress reagieren, ob mit Extra-viel-Futtern oder Nix-mehr-Runterkriegen, das ist individuell verschieden. Man weiß, dass es so ist, aber nicht, warum. Zweifellos ist es quälender, wenn man kräftig zulegt. Auch wenn schon oft Frauen, die ungewollt bei Größe 36 landeten, erstaunt feststellten: Es fühlt sich nicht so gut an wie erwartet, man empfindet sich eher reduziert und schwach, als „halbe Portion“.
Bekannt ist, dass die Stress-im-Job-Esser einen Jieper auf Süßes verspüren. Wenn Angelika Schaller merkte, dass sich eine Heißhunger-Attacke näherte, deckte sie sich mit fetten Speisen ein. „Die Fettesser“, sagt sie, „das sind die unglücklichen Fettklopse.“ Vor anderen beherrschte sie sich. „Aber abends, da kam der Wolf – so nannte ich die Gier, die sich über mich warf wie ein wildes Tier.“ Nach solchen Fressorgien fühlte sie sich hässlich, schlecht und schuldig. „Man füllt seinen Magen, damit man nichts mehr denkt, nichts mehr fühlt, nichts mehr ersehnt.“ Im Grunde zeigt sich so nicht das Leben auf der Waage, sondern das Nicht-Leben.
Kein Arzt nahm sich ihres gestörten Essverhaltens an
Angelika Schaller unternahm gegen ihr Übergewicht alles, was Erfolg versprach – doch sämtliche Diäten scheiterten. Hart geht sie heute mit den Ärzten ins Gericht, die ihr Dicksein immer nur als körperliches Thema ansprachen: „Keiner hat nachgefragt: ‚Warum müssen Sie essen? Weshalb wollen Sie nicht abnehmen? Welchen Vorteil hat es für Sie, dick zu bleiben?‘“ Zwei Psychotherapien brachten ein paar Erkenntnisse, aber nicht den Durchbruch. „Das Problem gelöst habe ich allein.“ Da kam vieles zusammen. Ein körperlicher Kollaps, aber viel wichtiger: Die Zeit war reif. Angelika Schaller hatte ihr verletztes, einsames Ich in einen Schutzpanzer aus Fett gesperrt, um nicht fühlen zu müssen. „Doch am Ende spürte ich, dass das verschüttete Ich wieder ans Licht wollte.“ Schonungslose Ehrlichkeit und ein liebevollerer Umgang mit sich selbst ebneten ihr den Weg.
Neues Ich und neues Glück
52 Wochen dauerte das Abnehmprogramm Optifast52, an dem sie in einer Klinik teilnahm (www.optifast.de). Andere Ernährung, mehr Bewegung, mehrfach neue Kleidergrößen. „Ich brauche auch neue Menschen“, erkannte Angelika Schaller. Sie trennte sich von Bekannten, die ihr nicht guttaten. Sie ist ehrlicher geworden, „einige können das nicht ertragen“. Sie gab eine Anzeige auf, mit der sie neue Freunde suchte. Ganz offensiv. Und erfolgreich. Denn so lernte sie mit 45 den Mann ihres Lebens kennen. Sie sind heute glücklich verheiratet.
Mit ein paar Tricks kann man Stress vorbeugen und es so gar nicht so weit kommen lassen, dass man Essen zur Kompensation benutzt. Wir haben ein paar Tricks zum Umgang mit Stress zusammengestellt. >>
