
Nähen
Stricken, häkeln, nähen – all jene Dinge, von denen sich Frauen im Zuge der Emanzipation frohen Mutes verabschiedet haben, erleben jetzt plötzlich ein Revival. Der Sinn steht nach DIY, dem Selbstgemachten, sei es bei Kleidung, in der Küche oder im handwerklichen Bereich. Sowohl Männer als auch Frauen packen mittlerweile wieder vermehrt selbst an. Das bedeutet auch, dass die Nähmaschine wieder aus der hintersten Ecke gezogen und entstaubt wird. Sogar immer mehr junge Frauen in den 20ern und 30ern legen sich plötzlich wieder eine Nähmaschine zu, wenn das Erbstück der Großmutter den Geist aufgegeben hat, und setzen sich freiwillig nach Feierabend oder an den Wochenenden zwischen Nadel und Faden. Dass sich das Nähen plötzlich wieder zum Trend mausert und vor allem emanzipierte Frauen begeistert, hat mehrere Ursachen.
DIY hat die Massen fest im Griff
Der Sinn steht nach Selbermachen – „Do it yourself“ – nicht nur, aber vor allem im Bereich der Kleidung. Allein in Deutschland geben mittlerweile knapp sieben Millionen Menschen, zum Großteil Frauen, das Nähen, Stricken oder Häkeln als ihr Hobby an…Tendenz steigend. Etwa drei Millionen davon nähen laut Statistik sogar mehrmals pro Woche. Mit Geldproblemen hat das in der Regel nur wenig zu tun, denn die Nähmaschine und verschiedenen Stoffe selbst sind nicht unbedingt günstig. Dennoch lässt sich natürlich gegenüber dem Kauf von Ware – vor allem von teurer Designer- und Markenware – durchaus der eine oder andere Groschen einsparen. Vor allem bei Kinderkleidung ist das manchmal ein durchschlagendes Argument, denn Kinder im Wachstum tragen ihre Klamotten oft nur wenige Wochen bis Monate, wobei neue Kleidung aus dem Einzelhandel beinahe so viel kostet wie Klamotten für Erwachsene. Dennoch: Die Möglichkeit zum Sparen von Geld ist in den meisten Fällen nicht der (einzige) Grund für die neu entdeckte „Nähleidenschaft“. Was steckt stattdessen dahinter?
Der Sinn steht nach Kreativität
In erster Linie geht es für die meisten Näher und Näherinnen darum, ihre Kreativität auszuleben. Das Nähen als Hobby bietet nämlich die Möglichkeit, Stoffe, Schnitte, Farben und andere kreative Details ihrer Kleidung selbst zu bestimmen und ein individuelles Einzelstück anzufertigen – quasi als Gegentrend zur Massenware aus den Shops oder dem Internet. Gleichzeitig kann die Qualität kontrolliert werden, was bereits bei der Auswahl der richtigen Stoffe beginnt.
So gibt es beispielsweise den Musselin Stoff in verschiedenen Ausführungen, aus Wolle, Seide, Bambus, Baumwolle oder Viskose. Jedes dieser Materialien bringt wiederum individuelle Eigenschaften mit. Wer die Kleidung hingegen fertig kauft, hat überhaupt keine solch große Auswahl. Und dabei handelt es sich nur um ein Beispiel von vielen. Das Nähen bietet also Freiheit für Kreativität und somit Kleidung, welche in allen Belangen exakt den eigenen Vorstellungen entspricht. Es geht darum, seinen eigenen Wertvorstellungen treu zu bleiben und seine Individualität auszuleben.
Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung
Apropos Wertvorstellungen: Diese spielen insofern eine Rolle, als dass immer mehr Menschen großen Wert auf Nachhaltigkeit, Fairness und andere moralischen Aspekte bei der Auswahl ihrer Kleidung legen. Sie möchten also keine Billigware auf Kosten der Umwelt oder von Kinderarbeit beziehungsweise unfairen Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern kaufen. Stattdessen sind sie durchaus dazu bereit, in nachhaltige, qualitativ hochwertige und „faire“ Kleidung etwas mehr Geld zu investieren. Allerdings ist im Einzelhandel kaum transparent, woher die Klamotten beziehungsweise Stoffe stammen, welche Farben verwendet wurden, wer das Kleidungsstück unter welchen Bedingungen gefertigt hat oder wie weit die Transportwege waren – und wie hoch damit die Umweltverschmutzung. Nachhaltigkeit, Fairness & Co sind beim Thema Kleidung also ein komplexes und schwieriges Unterfangen. Für viele Deutsche stellt das Selbermachen somit die logische und einfachste Lösung für diese Problematik dar. Auch, wenn die Stoffe schlussendlich vielleicht mehr kosten als das fertige Kleidungsstück bei den großen Ketten.
Wenn das Nähen zur Entspannungsoase wird
Qualität, Kreativität, Moral…es sind bereits viele wichtige Stichworte gefallen, die den neuen Trend zum guten alten Nähen erklären. Jedoch liegt der Hauptgrund vermutlich in den aktuellen Entwicklungen im (Arbeits-) Alltag. Durch die Digitalisierung sowie Globalisierung ist unsere Welt immer hektischer sowie komplexer geworden. Es herrscht Reizüberflutung, Lärm, Stress, Zeitdruck. Ständig klingelt das Smartphone und Entspannungszeiträume sind ein seltener Luxus geworden. Genau diese Entspannung finden aber viele Frauen beim Nähen. Endlich können sie das Smartphone, den Laptop und andere technische Geräte ausschalten. Sie arbeiten mit ihren eigenen Händen, müssen sich konzentrieren und dadurch vom Alltag abschalten. Es gibt nichts als das beruhigende Rattern der Nähmaschine und das befriedigende Gefühl, der Kleidung bei ihrer Entstehung zuzusehen – bis sie endlich vor dem Spiegel anprobiert werden kann. Dieses Gefühl, etwas selbst zu kreieren, macht stolz und stärkt das Selbstbewusstsein. Es ist also vor allem die emotionale Ebene, welche das Nähen wieder beliebter macht, und zwar vor allem bei emanzipierten, berufstätigen Frauen. Als Rückschritt sehen sie das keineswegs an. Schließlich entscheiden sie sich freiwillig für Nadel und Faden. Ein Hobby eben – nicht mehr und nicht weniger. Wer sich dafür mit Freundinnen trifft oder einen Nähkurs besucht, macht aus dem Nähen sogar ein soziales Event.
Der technologische Fortschritt vereinfacht das Nähen
Zuletzt spielt aber auch die Technik eine Rolle. Mit modernen Maschinen macht das Nähen vielen Frauen schlichtweg mehr Spaß. Es wird einfacher, die Ergebnisse sehen professioneller aus und die Möglichkeiten sind mittlerweile selbst für Laien beinahe unendlich. Es war also auch die Entwicklung der Overlock-Nähmaschinen, welche die alte Freizeitbeschäftigung zurück ins moderne Wohnzimmer geholt hat. So unterschiedlich wie die Menschen, mögen somit ihre Gründe sein, weshalb sie sich (neu) in das Nähen verliebt haben. In der Regel spielen dabei gleich mehrere der aufgeführten Aspekte eine Rolle. Ob der Trend bleibt, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch abzuwarten. Schlussendlich gibt das Nähen wohl einfach „irgendwie“ ein gutes Gefühl, sei es das reine Gewissen der Nachhaltigkeit oder Geld gespart zu haben, die hochwertige Qualität der Stoffe, die Entspannung bei der Handarbeit, das Ausleben der individuellen Kreativität und, und, und…
